Gerd Uecker

Der uns allen bekannte § 155 Abs. 1 FamFG gebietet es, Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls vorrangig und beschleunigt durchzuführen.

Dies gilt nicht für die häufig existenziellen Kindes- und Ehegattenunterhaltsansprüche oder Unterhaltsansprüche von ledigen Eltern. Es gilt schon gar nicht für sonstige vermögensrechtliche Ansprüche, inklusive Güterrecht und Wohnungsnutzung.

Die Kindschaftsverfahren haben deutlich zugenommen. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2021 etwa 200.000 Kindschaftsverfahren in der 1. Instanz stattgefunden. Bei knappen personellen Ressourcen und einem feststehenden Pensenschlüssel bedarf es keiner schwierigen mathematischen Berechnung, um die Auswirkungen auf die Behandlung sonstiger familienrechtlicher Verfahren zutreffend zu erfassen. Soweit es den Beteiligten nicht gelingt, außergerichtliche Verständigungen über den Unterhalt oder erst recht über das Güterrecht oder das Nebengüterrecht zu finden, müssen die Beteiligten mit jahrelangen Verfahren rechnen. Dies gilt insbesondere für güterrechtliche Auseinandersetzungen und die bereits angesprochenen Verfahren aus dem Nebengüterrecht, aber durchaus auch für Hauptsacheverfahren im Unterhalt. Verfahrensdauern von 5, 10 oder gar mehr Jahren sind im Güterrecht keineswegs ungewöhnlich.

Was dies für die Bearbeitung der Verfahren bedeutet, ist uns allen aus der anwaltlichen Beratung hinlänglich bekannt. Sowohl wir als auch die (häufig wechselnden) Familienrichterinnen und -richter müssen sich ständig neu in die oft sehr umfangreichen Verfahren einarbeiten. Die mit offenen gerichtlichen Verfahren verbundenen psychischen und finanziellen Belastungen tragen die Beteiligten. Bei außergerichtlichen Verhandlungen spielt die prognostizierte Verfahrensdauer deshalb eine durchaus wichtige Rolle. Wir alle haben oft genug miterlebt, dass in außergerichtlichen oder auch gerichtlichen zugewinnausgleichsrechtlichen Verfahren die zu erwartende Verfahrensdauer ein wesentliches Argument für den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung ist.

Für die Verfahrensbeteiligten, aber auch für uns Anwälte/innen ist dies auf Dauer nur schwer hinnehmbar. Über Lösungen müsste dringend nachgedacht werden. Dies gilt zunächst für eine kritische Überprüfung des § 155 Abs. 1 FamFG. Nicht jeder Streit über den Umfang eines ausgeübten Umgangs muss vorrangig behandelt werden. So dürfte es für die Verfahrensbeteiligten von größerer Bedeutung sein, ob ein Unterhaltsanspruch in einer bestimmten Höhe bedient wird, als ein Streit darüber, ob der Umgang am Donnerstag um 15:00 oder stattdessen um 17:00 Uhr beginnt.

Das gesamte kindschaftsrechtliche Verfahren sollte im Übrigen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Den zerstrittenen Eltern sollte es auch kostenmäßig nicht zu leicht gemacht werden, ihre Paarkonflikte über Kindschaftsverfahren auszutragen. Bestehende Anreize dazu sollten überdacht werden. Dies gilt zunächst einmal für die deutlich zu niedrigen Gegenstandswerte solcher Verfahren. Verfahren, die nach den gesetzlichen Gebühren durchgeführt werden, bergen so gut wie kein Kostenrisiko für die beteiligten Eltern in sich.

Die besondere Bedeutung der Verfahren kann auch durch den höheren Gegenstandswert zum Ausdruck gebracht werden. Eine Erhöhung der Kosten kindschaftsrechtlicher Verfahren kann auch dazu beitragen, dass von einer vorschnellen Einleitung mehrerer aufeinanderfolgender Verfahren abgesehen wird. Nicht zuletzt belasten diese Verfahren auch die Kinder.

Solange keine grundsätzliche Reform des gerichtlichen Verfahrens in Kindschaftssachen stattgefunden hat, muss dringend der Personalbestand der Familiengerichte verbessert werden, damit eine dem Rechtsstaatsprinzip entsprechende zeitliche Dauer des Verfahrens gewährleistet ist.

Autor: Gerd Uecker

Gerd Uecker, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Hamburg

FF, S. 265

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