Der Gesetzgeber hat sich gegen das von namhaften Familienrechtlern geforderte Modell einer originären gemeinsamen elterlichen Sorge ex lege entschieden und mit dem vereinfachten Antragsmodell einen Kompromiss zwischen den im Vorfeld der Reform diskutierten Grundmodellen gewählt. Man mag bedauern, dass der Gesetzgeber kein klares rechtspolitisches Signal gesetzt hat – ein fauler Kompromiss ist die nun vorliegende Lösung aber nicht. Es steht nämlich zu erwarten, dass diese Lösung im Verhältnis zur gemeinsamen Sorge ex lege prozessökonomischer ist und weniger konfliktträchtige Verfahren provoziert.
Geht man nämlich davon aus, dass bei den zum Zeitpunkt der Geburt zusammenlebenden Eltern (rund 80 % aller nicht miteinander verheirateten Eltern) keine Konflikte bei Ausübung der gemeinsamen Sorge entstehen, so bleiben rund 20 % aller nicht miteinander verheirateten Eltern übrig, bei denen der Streit um die elterliche Sorge ein Fall für die Gerichte sein könnte. Diese 20 % lassen sich in fünf Gruppen einteilen: erstens Eltern, die trotz getrennter Haushalte ebenfalls in der Lage sind, gemeinsam die Sorge auszuüben; zweitens Eltern, für die nur die gemeinsame Ausübung eines Teilbereichs der Sorge in Frage kommt; drittens Eltern, die sich einig sind, dass die Sorge bei der Mutter verbleiben soll; viertens Eltern, bei denen nur ein Elternteil die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge bzw. eines Teilbereichs der Sorge wünscht, während der andere Elternteil dies ablehnt; und fünftens Eltern, die beide die Alleinsorge ausüben wollen. Das ex-lege-Modell hätte nur der ersten Gruppe eine Lösung geboten, während in allen anderen Gruppen die Austragung der Elternkonflikte vor Gericht (in normalen Sorgerechtsverfahren) vorprogrammiert gewesen wäre. Mit der nun vorliegenden Lösung wird hingegen der ersten Gruppe die Möglichkeit der Abgabe gemeinsamer Sorgeerklärungen oder die Inanspruchnahme des vereinfachten Verfahrens nach § 155a Abs. 3 FamFG geboten; auch die zweite Gruppe erreicht ihr Ziel einfach und unbürokratisch mit dem vereinfachten Verfahren und die dritte Gruppe muss überhaupt nichts tun. Und selbst in der vierten Gruppe bietet das vereinfachte Verfahren eine Lösung für diejenigen Fälle, in denen ein Elternteil aus nicht kindeswohlrelevanten Gründen die gemeinsame Sorge ablehnt.
Die Verfasserin gehört auch zu denjenigen, die sich vom Gesetzgeber den großen Wurf, d.h. ein statusunabhängiges (an Realbeziehungen im Eltern-Kind-Verhältnis und nicht am Status der Elternbeziehung ausgerichtetes) Kindschaftsrecht gewünscht hätten. Dass das ex-lege-Modell gut funktionieren kann, wird schon dadurch bezeugt, dass zwei Drittel aller Staaten der Europäischen Union ein gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern kraft Gesetzes vorsehen, während sich der deutsche Gesetzgeber noch immer nicht vollständig vom "Muttervorrang" gelöst hat (wie etwa das Festhalten am eigenen Recht der Mutter auf Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft in § 1595 Abs. 1 BGB zeigt). Man kann aber auch anerkennen, dass das neue Leitbild in § 1626a Abs. 2 BGB und das vereinfachte Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG ein großer Schritt in die richtige Richtung ist. Da aber im nichtehelichen Kindschaftsrecht ohnehin der Satz "Nach der Reform ist vor der Reform!" inzwischen zur Observanz geworden ist, darf man in jedem Fall der weiteren Entwicklung mit Spannung entgegensehen.
Autor: Prof. Dr. Eva Schumann , Göttingen
FF 9/2013, S. 339 - 349