Einführung

Nachdem das BVerfG in seinem Urt. v. 3.11.1982 die Verfassungswidrigkeit von § 1671 BGB in seiner damaligen Fassung festgestellt hatte, d.h. im Fall der Scheidung die gemeinsame elterliche Sorge selbst dann ausgeschlossen war, wenn die Eltern willens und in der Lage waren, die Verantwortung zum Wohl des Kindes auch weiterhin gemeinsam zu tragen,[1] eröffnete der Gesetzgeber mit dem zum 1.7.1998 in Kraft getretenen KindRG[2] die Möglichkeit zur Beibehaltung der gemeinsamen Sorge. Gleichzeitig hat die Rechtsprechung jedoch betont, dass es weder eine Priorität zugunsten der gemeinsamen Sorge[3] noch eine gesetzliche Vermutung dahin gibt, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist, da sich eine elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt.[4] Die bei Ausübung der gemeinsamen Sorge gerade nach der Trennung der Eltern häufig noch auf der Paarebene fortbestehenden Differenzen bieten daher regelmäßig Anlass zu der Argumentation, dass eine Umsetzung des nach § 1629 Abs. 1 BGB geltenden Gesamtvertretungsprinzips mit Blick auf das Kindeswohl nicht möglich ist und diesem durch die Übertragung der elterlichen Sorge in ihrer Gesamtheit oder zumindest in Teilbereichen auf einen Elternteil besser gedient werden kann.

[1] BVerfG, Urt. v. 3.11.1982 – 1 BvL 25/80, FamRZ 1982, 1179.
[2] BGBl 1997 I S. 2942.

I. Regelungen zur elterlichen Sorge gem. § 1671 BGB

Im Blickpunkt der nachfolgenden Ausführungen steht die bereits zwischen den Eltern bestehende gemeinsame Sorge, d.h. nicht berührt werden Fallgestaltungen im Sinn des § 1671 Abs. 2 BGB, in denen der Vater des Kindes erstmals – vor dem Hintergrund der originären Sorge der Mutter gem. § 1626 Abs. 3 BGB – die Übertragung der Alleinsorge erstrebt.

Leben Eltern, die bislang die Sorge für ihr Kind gemeinsam ausgeübt haben, dauerhaft getrennt und zwar unabhängig davon, ob sie miteinander verheiratet sind, so gilt für die Regelung der elterlichen Sorge ab diesem Zeitpunkt § 1671 BGB als zentrale rechtliche Grundlage, soweit die Eltern keine einvernehmliche Regelung finden können und es gem. § 1671 Abs. 4 BGB keiner Regelung aufgrund einer anderen Vorschrift – insbesondere nach § 1666 BGB – bedarf.

Trägt danach ein Elternteil auf Übertragung der Sorge in ihrer Gesamtheit oder in Teilbereichen an, so hat das Familiengericht im Rahmen der sog. "großen Kindeswohlprüfung" gem. § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zu bewerten, ob[5] die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten dient und zudem die Übertragung der alleinigen Sorge gerade auf den antragstellenden Elternteil die dem Kindeswohl am besten entsprechende Entscheidung darstellt.

Bei der Beurteilung der Frage, ob es am Kindeswohl orientiert einer Aufhebung der gemeinsamen Sorge bedarf, gilt der Grundsatz, dass die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge voraussetzt und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern besteht.[6] Eine auf der Elternebene fehlende Kooperationsfähigkeit und Kooperationswilligkeit spricht daher für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge, wenn diese funktionsunfähige Kommunikationsebene – die deutlich stärker ausgeprägt sein muss alsübliche Unstimmigkeiten zu Alltagsproblemen[7] – sich nachteilig auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes auswirkt.[8]

Inwieweit dann die elterliche Sorge gerade dem antragstellenden Elternteil zu übertragen ist, beurteilt sich auf der nächsten Prüfungsebene nach den anerkannten Kriterien der Kindeswohlprüfung,[9] d.h. der Erziehungseignung eines Elternteils, dem Förderungsgrundsatz, dem Kontinuitätsgrundsatz, den Bindungen des Kindes bzw. dem Kindeswillen, soweit er mit dem Kindeswohl vereinbar ist.[10]

Da die familiengerichtliche Entscheidung zur Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil zugleich einen Eingriff in das nach Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des jeweils anderen Elternteils darstellt, d.h. diesem die elterliche Sorge insgesamt oder in Teilbereichen entzogen wird, muss bei der getroffenen Entscheidung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.[11] Es bedarf daher stets der Prüfung, ob dem Kindeswohl auch durch die Wahl milderer Mittel Genüge getan werden kann.[12] Diese Prüfung erstreckt sich nicht nur auf die Frage, ob statt des vollständigen Entzugs der elterlichen Sorge zu Lasten eines Elternteils, auch die Übertragung nur eines Teilbereichs der elterlichen Sorge ausreichend ist, sondern zugleich darauf, ob zur Wahrnehmung der elterlichen Vertretungsbefugnis auch die Erteilung einer Vollmacht ausreichend sein kann.

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