EuGH, Urt. v. 13.7.2023 – Rs. C-87-22, PM v. 14.7.2023

1. Nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl 2003, L 338, S. 1), die auf Unionsebene Zuständigkeitsregeln u.a. für Sorgerechtsangelegenheiten festlegt, sind für die Entscheidung eines Sorgerechtsstreits grds. die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Aufgrund ihrer räumlichen Nähe sind diese Gerichte nämlich im Allgemeinen am besten in der Lage, die zum Wohl des Kindes zu erlassenden Maßnahmen zu beurteilen. Bei einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes bleiben jedoch grds. die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und zwar um von einem derartigen Verbringen abzuschrecken.

2. In Ausnahmefällen kann das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, gemäß dieser Verordnung die Verweisung des Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats beantragen, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, wenn dieses Gericht den Fall besser beurteilen kann und dies dem Wohl des Kindes entspricht, auch wenn das Kind widerrechtlich verbracht wurde. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen muss das zuständige Gericht jedoch berücksichtigen, ob gemäß dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Autor: Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am OLG a.D., Bonn

FF 10/2023, S. 421 - 424

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