Dr. Undine Krebs
Mittlerweile ist unsere Kanzlei so ausgestattet, dass sämtliche Akten elektronisch geführt werden. Der gesamte Schriftwechsel wird für die jeweilige Akte eingescannt. Zum Termin lässt sich jede Akte über eine spezielle App auf das iPad oder einen Laptop laden und steht papierlos im Termin zur Verfügung. Durch eine kurze, griffige Bezeichnung der Dokumente nach dem Scannen und bei Zuordnung zur Akte und deren Unterordner können die einzelnen Dokumente auch schnell gefunden werden. Das System haben wir über viele Monate des Gebrauchs immer weiter perfektioniert und man meint, dass die Möglichkeit, die Akte papierlos bearbeiten zu können, am besten zu nutzen wäre. Dem ist jedoch nicht so, denn viele Dokumente werden doch immer wieder ausgedruckt, weil es sich oft besser arbeiten lässt, wenn man wichtige Inhalte vor sich hat und sie auf Papier lesen und bearbeiten kann. Warum ist das so?
Nach einer aktuellen Studie macht es einen Unterschied, ob wir Informationen vom Papier oder vom Bildschirm aufnehmen. Es wurde festgestellt, dass verschiedene Prozesse der Informationsverarbeitung gefördert werden, je nachdem, von welchem Medium wir den Inhalt aufnehmen. Bei den Untersuchungen wurden Augenbewegung, Hirnaktivität, Lesegeschwindigkeit und Leseverständnis beim Lesen vom Papier oder von einem Tablett oder Computer verglichen. Obwohl die Teilnehmer vorher angegeben haben, dass sie lieber vom Papier lesen würden, lieferte die Studie keine Anhaltspunkte dafür, ob Lesen vom Papier oder vom Bildschirm anstrengender ist. Fest steht aber, dass Lernen weniger effektiv ist, wenn sich Studenten ihre Notizen in Vorlesungen auf dem Laptop machen, anstatt selbst händisch mitzuschreiben. Der Königsweg ins Hirn scheint immer noch über die Hand zu führen. Wer auf Laptops liest, neigt dazu, sich auf konkrete Details zu konzentrieren, und weniger dazu, Informationen abstrakt zu verarbeiten. Eine Studie, durchgeführt mit norwegischen Schülern, hat auch ergeben, dass die Lektüre auf Papier das Verständnis der Texte erleichtert. Auch weitere Studien haben gezeigt, dass die Probanden nach der Lektüre auf Papier den Text besser begriffen haben – dies allerdings nur unter Zeitdruck: Ohne zeitliche Vorgaben ließ sich kein signifikanter Unterschied feststellen.
Auf meine bzw. unsere Arbeit als Anwälte bezogen, stelle ich für mich fest, dass ich mir Anmerkungen auf einem Schriftsatz der Gegenseite mache, dass ich verschiedene Blätter nebeneinander auf den Schreibtisch lege, dass ich mir merke, wenn etwas, das ich für wichtig halte, rechts oben oder links unten steht, oder ich weiß wo, wenn ich nach einem bestimmten Vortrag der Gegenseite oder in meinem eigenen Vortrag etwas suche. Tatsächlich interpretiert das Gehirn Texte ähnlich wie Landschaften; und einfach weil ein ausgedruckter Schriftsatz eine klare Seitenaufteilung besitzt, kann man sich in ihm besser orientieren als im Text auf einem Bildschirm. Texte auf Papier merken wir uns besser und mehr als Texte auf dem Bildschirm, wo der leuchtende Bildschirm, das ständige Scrollen unsere Aufmerksamkeit und unser Arbeitsgedächtnis zusätzlich, neben dem weitaus wichtigeren Textverständnis, in Beschlag nehmen. Bildschirmarbeit und stundenlanges Lesen vom Bildschirm sind Schwerstarbeit für unsere Augen. Wer mehrheitlich am PC arbeitet, macht täglich rund 30.000 Blickwechsel zwischen Bildschirmtastaturen und den Arbeitsunterlagen. Bei dieser einseitigen Arbeit sinkt die Blinzelrate, was wiederum die Menge des Tränenfilms reduziert und es kann sich ein trockenes Auge entwickeln. Um dieser Gefahr zu entgehen, braucht es eine gute Mischung zwischen PC-Arbeit mit der elektronischen Akte und der guten alten Papierakte, die auch wir oft auflegen, wenn es gilt, in den Schriftsätzen enthaltene ältere und neuere Informationen parat zu haben, wenn man selbst über einem Schriftsatz an den Gegner oder für das Gericht "brütet". Eine Papierakte und eine elektronische Akte zu führen, das wäre bei Inhaltsgleichheit zu zeitintensiv. Was also tun? Ich habe für mich die Lösung gefunden, indem ich auf die elektronische Akte als Speichermedium setze, mir aber bei Bedarf Informationen ausdrucke. Wenn Sie auch eine Lösung gefunden haben, dann lassen Sie es unsere Kolleginnen und Kollegen und mich wissen.
Autor: Dr. Undine Krebs
Dr. Undine Krebs, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, München
FF 10/2019, S. 381