Fallkonstellationen, wie die der Entscheidung des BGH zugrunde liegende, kommen insbesondere in Familiensachen häufig vor. Manche Mandanten meinen irgendwann, dass der beauftragte Anwalt doch nicht der richtige sei. Kurz vor Abschluss der Angelegenheit entscheiden sie sich dann, den Anwalt zu wechseln und mit einem neuen Anwalt die Sache abzuschließen.
Dass der ausscheidende Anwalt eine Verfahrensgebühr und in der Regel auch bereits eine Terminsgebühr verdient hat, ist dabei häufig nicht strittig. Der Streit entsteht aber hinsichtlich der Einigungsgebühr, nämlich dann, wenn der nachfolgende Anwalt eine Einigung abschließt, von der der vorige Anwalt der Auffassung ist, dass er sie im Wesentlichen vorbereitet hat.
Mandanten übersehen dabei allzu häufig, dass ein Anwalt die Einigung nicht selbst abgeschlossen haben muss, um die Einigungsgebühr zu verdienen. Erforderlich ist lediglich, dass eine Einigung zustande kommt und der Anwalt daran ursächlich mitgewirkt hat. Insoweit stellt Anm. Abs. 2 zu Nr. 1000 VV klar, dass die Ursächlichkeit vermutet wird, wenn der Anwalt an den "Vertragsverhandlungen", also an den Einigungsverhandlungen mitgewirkt hat. Insoweit ist es also durchaus möglich, dass der vorherige Anwalt Vergleichsverhandlungen geführt hat, aber erst der neue Anwalt den Vergleich dann abschließt. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob (auch) der ausgeschiedene Anwalt die Einigungsgebühr verdient hat.
Voraussetzung hierfür ist, dass er – wie bereits ausgeführt – an den Einigungsverhandlungen mitgewirkt hat und dass die später von dem nachfolgenden Anwalt geschlossene Einigung im Wesentlichen dem entspricht, was der ausgeschiedene Anwalt vorverhandelt hat. Man muss also feststellen, ob das Ergebnis der späteren Einigung noch als Ausfluss der vorigen Einigungsverhandlungen des ausgeschiedenen Anwalts angesehen werden kann und er damit für den konkreten Vergleich letztlich (mit)ursächlich war. Eindeutig ist der Fall, wenn ein gerichtlich protokollierter Vergleich zunächst widerrufen, dann aber nach Kündigung des Mandats ein gleichlautender oder ein im Großen und Ganzen entsprechender Vergleich doch noch geschlossen wird.
Ausgehend hiervon stellte sich jetzt die Frage, ob die Frage der Mitwirkung i.S.d. Anm. Abs. 2 zu Nr. 1000 VV im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG geprüft werden kann oder ob der Einwand des Mandanten, der Anwalt habe nicht mitgewirkt, ein Einwand außerhalb des Gebührenrechts ist, der nach § 11 Abs. 5 RVG zur Abweisung des Antrags und Verweisung auf das Erkenntnisverfahren führen würde. Der BGH hat in dem entschiedenen Fall zutreffenderweise den Einwand als einen gebührenrechtlichen Einwand betrachtet und der Vorinstanz aufgegeben, die Sache aufzuklären und zu bescheiden.
Insoweit wird die Vorinstanz auch die Beweislastverteilung der Anm. Abs. 2 zu Nr. 1000 VV zu beachten haben. Die Ursächlichkeit des ausgeschiedenen Anwalts wird vermutet, wenn er an den Verhandlungen teilgenommen hat. Es ist dann Sache des Mandanten darzulegen und zu beweisen, dass die letztlich getroffene Einigung nicht auf den Verhandlungen des ausgeschiedenen Anwalts beruht. Dabei wird es wesentlich darauf ankommen, inwieweit die letztlich geschlossene Einigung dem Verhandlungsstand bei Ausscheiden des vorherigen Anwalts entspricht.
Allerdings darf man die Entscheidung des BGH nicht verallgemeinern. Vielmehr muss man differenzieren. Entscheidend ist, mit welchem Einwand sich der ehemalige Mandant gegen die Mitwirkung wendet.
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Bestreitet er die tatsächlichen Voraussetzungen der Mitwirkung, dann handelt es sich um einen nicht gebührenrechtlichen Einwand, so dass die Festsetzung nach § 11 Abs. 5 RVG zurückgewiesen werden muss. |
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Sind die Tatsachen dagegen – wie hier – unstreitig und wird lediglich die Rechtsfolge bestritten, also dass die Tätigkeiten des vorherigen Anwalts ursächlich für die Einigung waren, dann handelt es sich um einen gebührenrechtlichen Einwand, der im Verfahren nach § 11 RVG zu prüfen ist. |
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen-Seelscheid
FF 10/2020, S. 415 - 417