Obgleich sich der Gegenstand dieser Verfahren (im Wesentlichen Scheidung oder Aufhebung der Ehe) deutlich vom gewöhnlichen Zivilprozess unterscheidet, hat der Gesetzgeber von 2009 an der hergebrachten kontradiktorischen Ausgestaltung festgehalten und für sie ebenfalls – wenngleich mit erheblichen Modifikationen – auf die allgemeinen Vorschriften der ZPO verwiesen (§ 113 Abs. 1, 3, 4 FamFG).[8] Auch für sie gilt daher das Prinzip der Mündlichkeit mit dem grundsätzlich obligatorischen Präsenztermin und den Ausnahmen des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO sowie der Videoverhandlung nach § 128a ZPO.

Nach § 128 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll das Gericht die Ehegatten allerdings persönlich vorladen und anhören. Hinter dieser weit über § 141 ZPO hinausgehenden Anhörungspflicht steht der Gedanke, dass derart schwerwiegende Eingriffe in höchstpersönliche Verhältnisse nicht ohne persönlichen Kontakt mit dem Richter stattfinden sollen, zumal der hier geltende eingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz (§ 127 FamFG) dem Richter eine besondere Verantwortung für diese und die damit zusammenhängenden Folgeentscheidungen auferlegt.[9] Ein bloßer Video- oder Telefonkontakt reicht hierfür nicht aus. Die gegenteilige Ansicht[10] lässt sich allenfalls darauf stützen, dass es sich bei § 128 Abs. 1 Satz 1 FamFG um eine Sollvorschrift handelt, so dass in klaren Fällen, insbesondere bei einvernehmlichen Scheidungen ohne heikle Folgekonflikte, das Gericht auf die persönliche Anhörung verzichten und sich von deren Entbehrlichkeit auch mittels informeller Kommunikation ein Bild machen kann. Liegt aber kein Ausnahmefall vor, der vom Sollen entbindet, muss es bei der persönlichen Anhörung im Wortsinne verbleiben. Die Erschwernisse einer Anhörung durch Infektionsschutzmaßnahmen[11] oder durch die Notwendigkeit einer Gefangenenvorführung[12] können eine Überdehnung dieses Merkmals durch Zulassung einer virtuellen Anhörung nicht rechtfertigen. Für den Fall, dass besondere Gründe gegen einen gemeinsamen Termin mit den Eheleuten sprechen, sieht das Gesetz die getrennte Anhörung, für den Fall großer Entfernung vom Gerichtsort die Anhörung durch einen ersuchten Richter vor (§ 128 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FamFG). Auch diese erfüllt den genannten Gesetzeszweck besser als ein Telefon- oder Videokontakt.[13]

[8] Ebenso für die korrespondierenden Lebenspartnerschaftssachen, § 270 FamFG.
[9] Weber in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 128 Rn 2; Helms in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 128 Rn 1.
[10] Lorenz, MDR 2016, 956, 957; Frank, FuR 2020, 331, 333 (unter II 2 b aa); Socha, FamRZ 2020, 731, 732.
[11] Nach Götsche, juris-PR-FamR 10/2020 Anm. 1 soll hier sogar ein Telefonat ausreichen.
[12] So aber AG Darmstadt FamRZ 2015, 271 m. Anm. Viefhues.
[13] Zu dessen Defiziten s. Greger, MDR 2020, 957 ff.; ausführlich mit verhandlungspsychologischen Belegen Glunz, Psychologische Effekte beim gerichtlichen Einsatz von Videotechnik, Diss. Freiburg, 2012.

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