Scheidung
KG, Beschl. v. 15.7.2022 – 16 UF 65/22
1. Wenn beide Ehegatten, die seit mindestens einem Jahr voneinander getrennt leben, jeweils einen eigenen Scheidungs- bzw. Scheidungswiderantrag anbringen, über die mündlich verhandelt wird, wird das Scheitern der Ehe auch dann unwiderleglich vermutet, wenn ein Ehegatte seinen Scheidungsantrag in einem späteren Termin zurücknimmt und erklärt, an der Ehe weiter festhalten zu wollen, der andere Ehegatte der Rücknahme jedoch nicht zustimmt und unverändert geschieden werden möchte.
2. Nach Ablauf des Trennungsjahres kann eine Ehe auch auf die einseitige Zerrüttung hin geschieden werden, wenn die anzustellende Prognose ergibt, dass mit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht zu rechnen ist.
Kindesunterhalt
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.5.2022 – 18 WF 20/22
Den Anforderungen an den Beleg der Einkünfte für die letzten zwölf Monate beim Einwand eingeschränkter oder fehlender Leistungsfähigkeit gemäß § 252 Abs. 4 FamFG kann genügt sein, wenn zwar nicht sämtliche Lohnabrechnungen des letzten Jahres vorgelegt werden, aber aus den übersandten Belegen sich der Jahresnettoverdienst ergibt. Die Unterlagen können auch – trotz fehlender Unterschrift – in einem Anhang per E-Mail übersandt werden, wenn das erstinstanzliche Gericht die Unterlagen ausdruckt und zur Akte nimmt.
Abendgabe
OLG Oldenburg, Beschl. v. 1.6.2022 – 13 UF 82/21
Hat ein Ehemann mit seiner Frau für den Fall einer Scheidung eine "Abendgabe" vereinbart hat, ist er an diese Vereinbarung gebunden, auch wenn sich die Verhältnisse geändert haben und die Ehefrau auf die Zahlung nicht angewiesen ist. (red. LS)
Versorgungsausgleich
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.4.2022 – 20 UF 97/21
1. Bestehen in einer Versorgungsausgleichssache bei einem Versorgungsträger mehrere Anrechte, wird durch die erste Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung an ihn der Lauf der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG bewirkt.
2. Ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht ohne Weiteres, dass noch ein weiteres bei dem Versorgungsträger bestehendes Anrecht, welches nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, materiell-rechtlich betroffen ist, kommt gemäß § 17 Abs. 1 FamFG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist in Betracht.
3. Wiedereinsetzung kann jedoch nicht gewährt werden, wenn der Versorgungsträger die versäumte Rechtshandlung nicht binnen zwei Wochen nach der in Bezug auf das weitere Anrecht erfolgten Kenntnisnahme nachgeholt hat.
Abstammungsrecht
OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.4.2022 – 11 UF 39/22
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Feststellung der Vaterschaft gegen den Willen der mit einer Frau verheirateten Mutter bei Zeugung eines Kindes mittels Samenspende (sog. Becherspende).
Sorge- und Umgangsrecht
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2022 – 20 UF 16/22
1. Wird einem Elternteil die elterliche Sorge entzogen und verfolgt er im Beschwerdeverfahren nur noch das Ziel, dass statt des Jugendamts ein naher Verwandter zum Vormund bestellt wird, lässt dies seine Beschwerdebefugnis nicht entfallen.
2. Das Jugendamt kann nach § 1791b BGB erst dann als Amtsvormund/Pfleger ausgewählt werden, wenn – anders als vorliegend die Tante des Kindes – ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht gefunden werden kann.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.4.2022 – 1 UF 219/21
1. Bei der Gesamtabwägung der Kindeswohlkriterien in einem sorgerechtlichen Verfahren finden insbesondere auch die von den Eltern erstrebten Betreuungskonzepte Berücksichtigung.
2. Infolge eines sorgerechtlichen Beschlusses kann durch Entscheidung des durch ihn zur alleinigen Aufenthaltsbestimmung berechtigten Elternteils ein zuvor einvernehmlich praktiziertes und nicht in einem vorangegangenen Umgangsverfahren familiengerichtlich geregeltes paritätisches Wechselmodell beendet werden.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.6.2022 – 18 UF 22/22
An der positiv festzustellenden Kindeswohldienlichkeit im Sinne von § 1685 Abs. 2 BGB kann es trotz des Bestehens einer tragfähigen Bindung zu der den Umgang begehrenden Bezugsperson fehlen, wenn der leibliche Elternteil den Umgang vehement verweigert und das Kind hierdurch einem solchen Loyalitätskonflikt ausgesetzt ist, dass auch begleitete Umgänge nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung des Kindes durchgeführt werden können (Anschluss OLG Braunschweig FamRZ 2021, 195).
Verfahrensrecht
BGH, Beschl. v. 29.6.2022 – XII ZB 9/22
a) Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Bürokraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Hierzu gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 19.2.2020 – XII ZB 458/19, FamRZ 2020, 936).
b) Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfrist...