Stellungnahme (Nr. 62/2023 v. 19.9.2023) des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Familienrecht zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz vom 24.8.2023 zur Modernisierung des Unterhaltsrechts

1 Zusammenfassung

Der Deutsche Anwaltverein begrüßt die Vorschläge im BMJ-Eckpunktepapier zur Modernisierung des Unterhaltsrechts vom 24.8.2023.[1] Sie zielen auf mehr Rechtssicherheit ab, entsprechen elementaren praktischen Bedürfnissen und erfüllen einen Großteil der in Literatur und Wissenschaft erhobenen Forderungen.

Allerdings beschränkt sich das Eckpunktepapier zum Kindesunterhalt auf das sog. asymmetrische Wechselmodell. Will man Rechtssicherheit, für die Praxis taugliche und somit einheitliche, für die Betroffenen verständliche Berechnungsformen schaffen, sollten dringend alle Betreuungsformen und damit auch das zeitanteilig gleiche paritätische Betreuungsmodell von der Reform erfasst werden.

Auch zum Betreuungsunterhalt regt der DAV Ergänzungen an.

2 Stellungnahme im Einzelnen

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 25.8.2023 ein Eckpunktepapier für ein faires Unterhaltsrecht in Trennungsfamilien veröffentlicht. Es werden vier Regelungsbereiche angesprochen: Einmal werden Vorschläge zur Berechnung des Kindesunterhalts im sog. asymmetrischen Wechselmodell (1) und zur Reform beim Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB unterbreitet (2). Des Weiteren soll der notwendige Selbstbehalt rechtlich verankert werden, der alle zwei Jahre im Verordnungswege geregelt werden und regionale Unterschiede abbilden soll (3) sowie eine Neufassung von § 1629 BGB zur Geltendmachung von Kindesunterhalt im symmetrischen Wechselmodell (4).

1. Die Berechnung des Kindesunterhalts im sog. asymmetrischen Wechselmodell

Das BMJ stellt ein Berechnungsmodell für den Kindesunterhalt vor, wenn der nicht hauptsächlich betreuende Elternteil eine substantielle Mitbetreuung des Kindes leistet. Ausgehend vom Kindesunterhalt, berechnet nach beiden Elterneinkommen, wird ein fester pauschaler Betrag von 15 % abgezogen, der den Aufwand des mitbetreuenden Elternteils für Nahrung, Freizeit, Bildung, Verkehr usw. abdeckt und damit zwangsläufig zu einer Kostenersparnis beim hauptbetreuenden Elternteil führt.

Entsprechend den Leitlinien der Oberlandesgerichte wird der Haftungsanteil ermittelt und mit einem festen Betreuungsanteil von 33 % gemittelt. Vom rechnerischen Ergebnis wird dann die Hälfte des Kindergeldes in Abzug gebracht. Das vom BMJ vorgestellte Berechnungsschema erfüllt die Vorgaben der Rechts- und Beratungssicherheit:

Das Schema ist einfach zu handhaben und damit ausgesprochen praxisfreundlich. Die Berechnung des Kindesunterhalts auf der Grundlage des gemeinsamen Elterneinkommens sowie das Ermitteln der Haftungsquote sind tägliches Brot des Praktikers. Die beiden Parameter, die dazu dienen, die Betreuungszeit des anderen Elternteils zu erfassen, sind invariabel: der pauschale Abschlag am Bedarf des Kindes von 15 % sowie der Betreuungsanteil mit 33 %. Der Pauschalierung mag der Einwand der Einzelfallgerechtigkeit entgegengehalten werden. Allerdings wird in der Praxis derzeit weder der Aufwand des Mitbetreuenden noch der Betreuungsanteil exakt bestimmt und derart in Berechnungen einbezogen. Das pauschalierende Modell wird zugleich durchaus auch vom informierten Laien verstanden und für die Berechnung herangezogen werden können und so zu mehr Rechtssicherheit führen.
Das Berechnungsmodell erfasst die Betreuungsleistung des nicht hauptbetreuenden Elternteils unabhängig vom tatsächlich erbrachten Betreuungsanteil, was aus der Perspektive des Praktikers den unbestreitbaren Vorteil für sich hat, dass damit Auseinandersetzungen um den Umfang des realen Betreuungsanteils mit dem Ziel, den Kindesunterhalt zu senken, der Wind aus den Segeln genommen wird. Von Mandanten gerne aufgestellte Tabellen über die tatsächlich geleisteten Betreuungszeiten werden damit bedeutungslos. Die reale Betreuungsdauer im Einzelnen hat auf die Höhe des Kindesunterhalts keinen Einfluss. Der gerne vor Gericht geführte Streit um den Umfang der erbrachten Betreuungsleistungen wird damit hinfällig. Allerdings sieht der DAV die Gefahr des strategischen Missbrauchs: Der Verpflichtete könnte den bisherigen Betreuungsmodus reduzieren, weil ein Mehr an Betreuung keinen wirtschaftlichen Nutzen abwirft. Gleichermaßen könnte der hauptbetreuende Elternteil ein Mehr an Betreuung verhindern wollen, weil damit bereits ab >29 % der Mitbetreuung weniger an Barunterhalt gezahlt wird. Solche Aktionen könnten als nicht im Sinne des Kindesinteresse entlarvt werden – unabhängig von der Art der Berechnung lassen sie sich aber nicht vermeiden.

Nicht auf den ersten Blick erschließt sich der Zweck der Anlage 1 im Verhältnis zur Anlage 2 des Eckpunktepapiers. Die erstere enthält beispielhaft dargestellte Betreuungsquoten auf der Grundlage der vom Kind beim nicht schwerpunktmäßig betreuenden Elternteil verbrachten Nächte unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schulferien von jährlich 14 Wochen. Ob di...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?