Im Verfahrensrecht steht die Beachtung von Formen und Fristen im Vordergrund. Dass die Förmlichkeiten dennoch kein Selbstzweck sind, sondern lediglich der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen sollen, gerät in der gerichtlichen Praxis gelegentlich aus dem Blickwinkel. Dies hat der Senat für Familiensachen des BGH nunmehr erneut beanstandet, nachdem er bereits in der im Leitsatz erwähnten Entscheidung aus 2012 die überspannten Anforderungen eines Rechtsmittelgerichts an die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung korrigiert hatte.
Auch im jetzigen Fall hatte der Rechtsmittelführer die von ihm angefochtene Entscheidung unzutreffend bezeichnet, was allerdings anders als in dem früheren Fall auf einem Fehler des Familiengerichts beruhte. Dieses hatte dem Antragsgegner im Scheidungsverbundverfahren anstelle des Endbeschlusses dessen inhaltsgleichen, aber mit einem anderen Datum versehenen Entwurf zugestellt. Der Antragsgegner, der den Irrtum des Gerichts nicht erkennen konnte, legte innerhalb der gesetzlichen Frist Beschwerde unter Beifügung einer Kopie des ihm zugegangenen Beschlusses ein. Nach fristgerechter Begründung seines Rechtsmittels teilte ihm das Beschwerdegericht mit, dass gegen die Zulässigkeit der Beschwerde Bedenken bestünden, da sie sich nicht auf die unter einem anderen Datum ergangene Endentscheidung des Familiengerichts beziehe. Der Antragsgegner legte daraufhin Beschwerde gegen diesen Endbeschluss ein verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag. Das Beschwerdegericht verwarf beide Beschwerden des Antragsgegners als unzulässig, da sich die eine gegen einen nicht erlassenen "Scheinbeschluss" richte und die andere verspätet sei. Der Wiedereinsetzungsantrag sei mangels Vorliegen der Voraussetzungen zurückzuweisen.
Dieses Ergebnis hätte eigentlich stutzig machen müssen. Kann es richtig sein, dass eine fehlerhafte Zustellung des Familiengerichts dazu führt, dass einem Beteiligten, dem verfahrensrechtlich nichts vorzuwerfen ist, die Möglichkeit genommen wird, ein statthaftes Rechtsmittel einzulegen? Der nahe liegenden Frage nach dem wirklichen Willen des Antragsgegners bei der Einlegung ist das Beschwerdegericht nicht nachgegangen in der Annahme, dass sich eine Auslegung der Beschwerdeschrift angesichts der darin vom Antragsgegner vermeintlich eindeutig vorgenommenen Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses verbiete. Diese Auffassung ist trotz ihrer ausführlichen Begründung, insbesondere hinsichtlich eines möglichen Interesses des Antragsgegners an der Beseitigung des durch die Zustellung des Entwurfs der späteren Entscheidung gesetzten Rechtsscheins unzutreffend.
Für verfahrensrechtliche Erklärungen und Handlungen eines Beteiligten gelten die Auslegungsregeln des materiellen Rechts, insbesondere des § 133 BGB. Hieraus folgt, dass der klare Wortlaut einer Erklärung eines Verfahrensbeteiligten der Ermittlung und Berücksichtigung seines abweichenden wirklichen Willens nicht entgegensteht, wenn für den Empfänger der Erklärung dieser tatsächlich gewollte Inhalt der Erklärung aufgrund der Gesamtumstände erkennbar ist. Der für das Verfahrensrecht erforderlichen Klarheit wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass im Zweifelsfall eine Auslegung zugunsten des Erklärenden unterbleibt. Hier war für das Beschwerdegericht aus den ihm vorliegenden Akten ohne Weiteres innerhalb der Beschwerdefrist erkennbar, dass der Antragsgegner sich mit seinem Rechtsmittel gegen die Verbundentscheidung und nicht deren Entwurf wehren wollte. Im Übrigen ist die Sache ausweislich der Eingangsverfügung des Vorsitzenden auch tatsächlich als Beschwerde gegen die zutreffend datierte Verbundentscheidung behandelt worden.
Die Reaktionen der Antragstellerin auf das gegnerische Rechtsmittel machen nach Auffassung des BGH deutlich, dass auch sie trotz der Falschbezeichnung das tatsächliche Ziel der Anfechtung erkannt hat. Dabei weist der Senat darauf hin, dass ohne diese Kenntnis bzw. die Möglichkeit, das tatsächlich Gewollte zweifelsfrei erkennen zu können, eine Klarstellung seitens des Antragsgegners sogar noch nach Ablauf der Beschwerdefrist ausreichend gewesen wäre, solange hierdurch die Verteidigung der Antragstellerin nicht beeinträchtigt worden wäre. Die zeitlichen Grenzen für eine eventuell erforderliche Klarstellung durch den Rechtsmittelführer, auf die es hier nicht mehr ankam, unterscheiden sich somit danach, ob es sich bei dem Erklärungsempfänger um das Rechtsmittelgericht oder den Rechtsmittelgegner handelt.
Übertriebene Anforderungen von Gerichten an die Förmlichkeiten des Verfahrens sind leider kein Einzelfall. Sie sind offensichtlich darauf zurückzuführen, dass das Verfahrensrecht nach seinem Charakter als formelles Recht maßgeblich von Förmlichkeiten bestimmt wird. Dies darf jedoch nicht zu einer starren Förmlichkeit führen, da ansonsten die Funktion des Verfahrensrechts als Mittel zur Durchsetzung des materiellen Rechts in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Vorliegend hätte ein Ausschluss der Berücksich...