Interview mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht
Christine Lambrecht
Schnitzler/FF: Sie haben im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen insbesondere in Freiburg und NRW ein umfangreiches Gesetzespaket im Kabinett eingebracht. Hierbei stand für die Presse die strafrechtliche Aufarbeitung dieses Komplexes im Vordergrund. Allerdings ist vielfach übersehen worden, dass in einem umfangreichen zweiten Teil die Qualitätssicherung der Familienrichter und Familienrichterinnen von Ihnen intensiv nach vorne geschoben worden ist. In unserer, dieser Zeitschrift, ist dieser Aspekt herausgestellt worden.
Werden die Länder mitziehen?
Lambrecht: Mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen. Mir war es besonders wichtig, auch den präventiven Kinderschutz zu verbessern. Der Gesetzentwurf enthält hierfür noch weitere Vorschläge wie die Einführung von Eignungsanforderungen für Verfahrensbeistände und Verbesserungen bei der Kindesanhörung. Familienrichterinnen und Familienrichter treffen Entscheidungen, welche für Kinder weitreichende und lebensverändernde Auswirkungen haben. Daher soll die Verantwortung für diese Verfahren nur besonders qualifizierten Richterinnen und Richtern übertragen werden.
Die Stärkung des Kinderschutzes ist ein gemeinsames Anliegen von Bund und Ländern. Ich rechne damit, dass die Länder diese, für die Verbesserung des Kinderschutzes wichtigen, Regelungen insgesamt mittragen werden, auch wenn wir in Einzelheiten unterschiedliche Auffassungen vertreten. Der Bundesrat hat in einem eigenen Gesetzentwurf zum Teil ähnliche Änderungen im familiengerichtlichen Verfahren vorgeschlagen. Natürlich ist die Einführung fachspezifischer Qualifikationsanforderungen in der Familiengerichtsbarkeit für die Länder mit zusätzlichem Fortbildungsaufwand und einer nicht unerheblichen Erschwerung der Personalplanung in den Justizverwaltungen und Gerichten verbunden. Dem tragen wir entsprechend Rechnung: Durch Übergangsfristen und die Unterstützung bei Fortbildungsangeboten.
Schnitzler/FF: Vor einem Jahr ist die Arbeitsgruppe im BMJV zusammengekommen und hat erste Thesen zum Sorge- und Umgangsrecht insbesondere bei gemeinsamer Betreuung nach Trennung und Scheidung erörtert. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus verschiedenen Vorsitzenden Richtern von Oberlandesgerichten, bekannten Professoren, die im Familienrecht tätig sind und der Rechtsanwältin Eva Becker vom DAV zusammen.
Wie ist das weitere Vorgehen des Ministeriums? Was ist hier geplant? Ist in der Legislaturperiode, die ja bis 2021 regulär andauert, noch mit Gesetzgebungsvorhaben zu rechnen, insbesondere z.B. auch beim Scheinvaterregress oder in anderen Bereichen? Wie weit sind hier die Planungen?
Lambrecht: Die Arbeitsgruppe hat im Oktober 2019 als Ergebnis ihrer Arbeit 50 Thesen für eine Reform des Sorge- und Umgangsrechts vorgelegt. Die hierzu eingegangenen Stellungnahmen haben wir gründlich ausgewertet. Neben dem Sorge- und Umgangsrecht sehen wir in weiteren Bereichen des Familienrechts dringenden Reformbedarf, insbesondere im Unterhaltsrecht und im Abstammungsrecht. Wir brauchen in diesen Bereichen grundlegende Überarbeitungen. Eine derart aufwändige Reform benötigt jedoch Zeit. Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit. Mir ist deshalb wichtig, dass wir für die besonders dringlichen Teile der Reform bereits vorab Regelungen treffen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Elemente des Sorge- und Umgangsrechts, des Unterhaltsrechts und des Abstammungsrechts zu einer Teilreform zusammenfasst. Der Gesetzentwurf wird derzeit zwischen den Ministerien abgestimmt. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Kürze die Länder und Verbände zu dem Vorhaben beteiligen können. Zu weiteren Bereichen des Sorge- und Umfangsrechts werden wir in der kommenden Legislaturperiode ein umfassendes Reformpaket vorlegen.
Schnitzler/FF: In einem Eckpunktepapier haben Sie überraschend kein automatisches Sorgerecht für unverheiratete Väter vorgesehen, was Ihnen nach meiner Auffassung zu Unrecht Kritik eingebracht hat.
Wie weit sind die Vorhaben, zumal im Grunde genommen nur noch ein knappes Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl zur Verfügung steht?
Lambrecht: Mit der erwähnten Teilreform soll auch die Entstehung der gemeinsamen elterlichen Sorge erleichtert werden, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Die gemeinsame elterliche Sorge soll kraft Gesetzes eintreten, wenn neben der Geburtsmutter ein Mann die Vaterschaft oder eine weitere Frau die Mutterschaft anerkennt und die Geburtsmutter der Anerkennung zustimmt. Damit fällt die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sorgeerklärung und damit ein zusätzlicher Gang zum Jugendamt oder zum Familiengericht weg. Zu dem Vorhaben laufen, wie gesagt, derzeit die Beratungen zwischen den Ressorts.
Schnitzler/FF: Wenn ich das richtig sehe, kommt es im Unterhaltsrecht in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einer Änderung der Unterhaltsvor...