Silke Morsch
Der Bundesjustizminister liefert: Am 25.8.2023 hat er das Eckpunktepapier zur Reform des Kindes- und des Betreuungsunterhalts vorgelegt: "Das Unterhaltsrecht muss dringend reformiert werden. Es muss faire und gerechte Rahmenbedingungen setzen."
Zukünftig sollen die Unterhaltslasten in den in der Praxis weit verbreiteten Fällen, bei denen sich der bisher nicht hauptbetreuende Elternteil verstärkt, d.h. mindestens im Umfang von 30 %-49 % in die Betreuung miteinbringt, arithmetisch bei der Höhe des Barunterhalts berücksichtigt werden (sog. asymmetrischen Wechselmodell). Dem Praktiker im Familienrecht stellen sich bereits zahlreiche Fragen:
Wie soll das angesichts unterschiedlicher Betreuungsbeiträge funktionieren? Gemäß der Devise des XII. Senats – Unterhalt sei ein Massenphänomen – d.h. die Berechnung sollte einfach und überschaubar ein – stellt das Ministerium ein mehrstufiges Modell vor, welches – in nachvollziehbaren Schritten – die Berechnung des reduzierten Unterhaltsbetrags ermöglicht. Neu ist: Die Berechnungsparameter für den Betreuungsanteil bleiben statisch: Für die Höhe des Unterhalts kommt es nur auf die Höhe des Elterneinkommens, nicht aber auf den Umfang des individuellen Betreuungsbeitrages an. Die Medaille hat zwei Seiten: Die Richterschaft und die Behörden werden diese Berechnungsoption begrüßen, der finanziell-strategisch kalkulierende Unterhaltspflichtige, dem es weniger um das Interesse des Kindes an den Betreuungszeiten geht, wird nah an der Grenze zu 30 % betreuen – mehr lohnt sich nicht. Und wir Verfahrensbevollmächtigte? Wird sich dadurch tatsächlich der unselige Streit um mehr oder weniger Betreuungsanteile reduzieren?
Wie wird der Anteil zwischen 30 und 49 % ermittelt? Durch einen nachvollziehbaren Rechenweg, der sich an einfachen Parametern – den tatsächlichen Übernachtungen und einer geteilten Freizeit – orientiert, kann mit wenigen Rechenschritten der für die Berechnung des Regelbedarfs nach der DT maßgebliche Anteil ermittelt werden.
Ein weiteres Reformvorhaben betrifft die Beseitigung eines verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtszustands: Bisher sind die Regelungen des Betreuungsunterhalts für nichtverheiratete Alleinerziehende und Geschiedene unterschiedlich ausgestaltet. Künftig soll auch der Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB einer vertraglichen Disposition zugänglich sein, die Verwirkungsregelungen sollen gleichlaufen, das Maß des Unterhalts wird sich in Zukunft nicht mehr nur nach dem durch die Betreuung verursachten Einkommensdefizit des Alleinbetreuenden richten, sondern nach dem gemeinsamen Partnereinkommen. Ein Wermutstropfen bleibt: Das Maß des Partnerunterhalts richtet sich nur dann nach dem gemeinsamen Einkommen, wenn die Lebenslage vergleichbar ist. Besteht hier die Gefahr einer kasuistischen Ausweitung? Was sind die Kriterien der Vergleichbarkeit? Spielt es aus der Perspektive des Kindes eine Rolle, ob die partnerschaftliche Zweisamkeit mit einer Ehe vergleichbar ist? Elternverantwortung ist Elternverantwortung!
Zudem sollen die sorgerechtlichen Hürden – Zuweisung der Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB oder Ergänzungspfleger – im symmetrischen Wechselmodell zukünftig wegfallen. Jeder Elternteil soll Ansprüche auf Unterhalt geltend machen können. Der notwendige Selbstbehalt wird zukünftig im BGB abgebildet, wobei regionale Unterschiede bei den Wohnkosten durch Bezugnahme auf das Wohngeldgesetz abgebildet werden sollen.
Diese Fragen wurden in der aktuellen Stunde auf unserer diesjährigen Herbsttagung in Fulda mit Frau Sylvia Frey-Simon und Frau Nicole Siebert, BMJ, Berlin, Frau Prof. Dr. Isabell Götz, Vors. Ri'in OLG a.D. München und Herrn RA Rolf Schlünder, FA FamR, Mannheim diskutiert.
Ein Quantensprung ist das Eckpunktepapier nicht, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Auf den Gesetzentwurf dürfen wir gespannt sein. Hoffentlich gibt es keine Störungen in der Lieferkette.
Autor: Silke Morsch
Silke Morsch, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, zertifizierte Mediatorin BAFM, Schwetzingen
FF 12/2023, S. 469