Zur Klärung dieser offenen Aspekte durch den EuGH ist das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV das einschlägige Instrument, das als objektives nicht-kontradiktorisches Zwischenverfahren der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts dient.
Stellt sich vor einem mitgliedstaatlichen Gericht eine solche, soeben skizzierte Auslegungsfrage bei der Anwendung von EU-Recht, die im konkreten Verfahren entscheidungserheblich ist, kann dieses dem EuGH die Auslegungsfrage vorlegen. Letztinstanzliche nationale Gerichte sind zur Vorlage verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Die Vorlagepflicht entfällt, wenn die Frage bereits vom EuGH beantwortet wurde (acte éclairé) oder wenn objektiv keine Zweifel hinsichtlich der Auslegung bestehen (acte claire). Ausnahmsweise kann auch dann von einer Vorlage abgesehen werden, wenn sich die Frage in einem nationalen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes stellt, eine Anrufung des EuGH also nicht in Betracht kommt, weil dies dem Eilrechtsschutz zuwiderliefe. Das Verfahren nach Art. 267 AEUV besteht aus einem schriftlichen Teil und in der Regel aus einem mündlichen Teil, wobei aber keine formelle Beweisaufnahme stattfindet, da der EuGH nicht den Sachverhalt ermittelt, sondern sich allein mit Rechtsfragen befasst. Die Wirkung der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren ist nicht ausdrücklich geregelt. Es bindet dem Zweck des Art. 267 AEUV nach das vorlegende Gericht und alle weiteren Gerichte und Behörden, die in demselben Rechtsstreit zu entscheiden haben. Ob darüber hinaus eine allgemeine Bindungswirkung der Entscheidung anzunehmen ist, ist nicht vollständig geklärt, wird aber jedenfalls bei einer Ungültigkeitserklärung durch den EuGH bejaht. Darüber hinaus lässt sich eine Bindung für letztinstanzliche Gerichte mit der sie treffenden Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV und für nicht-letztinstanzliche Gerichte mit ihrer Funktion bei der Anwendung von EU-Recht bejahen.
Im Jahr 2022 betrug die Verfahrensdauer bei Vorabentscheidungssachen im Schnitt 17,3 Monate und lag damit leicht höher als im Jahr 2021 mit 16,7 Monaten. Erst im Anschluss an die Entscheidung des EuGH setzt das mitgliedstaatliche Gericht sein Verfahren fort; es vergeht daher noch einmal Zeit bis zum Ergehen der Sachentscheidung. Zwar existiert die Möglichkeit, das Vorlageverfahren auf Antrag oder von Amts wegen als beschleunigtes Verfahren durchzuführen, wenn die Art der Rechtssache eine rasche Erledigung erfordert. Daneben existiert das Eilverfahren nach Art. 107 ff. EuGH-Verfahrensordnung für Vorabentscheidungsersuchen zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, das noch ein Mehr an Dringlichkeit im Vergleich zum beschleunigten Verfahren erfordert. Zu den Bereichen, in denen solche schnelleren bzw. verkürzten Verfahren praktische Bedeutung erlangen, weil den betroffenen individuellen Rechten allein durch die Dauer der Gerichtsverfahren erhebliche Gefahren drohen, zählt neben Asyl, Haft und Einwanderung auch das elterliche Erziehungs- und Sorgerecht. Gleichwohl werden die genannten Beschleunigungsinstrumente vom EuGH aufgrund des erheblichen Zeitdrucks und der Tatsache, dass die Vorrangstellung solcher Verfahren dann zu Lasten anderer anhängiger Rechtssachen geht, nur zurückhaltend angewandt.
All dies müssen die nationalen Gerichte im Kopf haben, wenn sie sich in einem Verfahren eine der skizzierten Fragen zur Anwendung und Auslegung der Brüssel-IIb-VO stellen und ein Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV einleiten. Die Gefahr einer faktischen Präjudizierung durch Zeitablauf ist in Kindschaftssachen besonders groß, da gerade bei kleinen Kindern Entfremdungsprozesse früh eintreten, es regelmäßig nur wenige Hauptbezugspersonen gibt und Bindungsabbrüche per se eine Kindeswohlgefährdung darstellen. Die Familiengerichte sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ein Rechtsstreit sich nicht allein durch Zeitablauf entscheidet (vgl. § 155 FamFG). Im Fall einer vom EuGH vorrangig zu klärenden Frage der Auslegung und Anwendung einer Norm des EU-Rechts sind daher irreversible Schädigungen der in der Sache betroffenen Eltern-Kind-Beziehungen über einstweilige Maßnahmen abzufedern, die nach sorgsamer Abwägung der konkreten Umstände zu ergehen haben.