Es bestand keine Notwendigkeit, im Jahr 2001 auf die Änderungen im Steuerrecht zu reagieren und das unterhaltsrechtliche System von Regelbetrag und teilweiser Kindergeldanrechnung zu verändern. Der neu eingeführte steuerliche Freibetrag für den Betreuungsbedarf wirkt sich immer nur bei einem entsprechend hohen zu versteuernden Einkommen aus. Bei den unterhaltsrechtlich kritischen, geringen Einkommen ist dieser Umstand hingegen bedeutungslos. In diesen Fällen steht die existenzsichernde Funktion des Kindergeldes im Vordergrund. Ungeachtet dessen nutzte der Gesetzgeber eine steuerrechtliche Vorschrift für sein rechtspolitisches Ziel, den betreuenden Elternteil zu entlasten und den barunterhaltspflichtigen Elternteil zu belasten.
Die letzte Reform hat zwar die sprachlichen Schwächen der Vorgängernorm beseitigt, nicht aber ihre strukturellen Schwächen behoben. Die Kritik des BVerfG beschränkte sich nicht auf die damals unklare sprachliche Fassung des Gesetzes. Es hatte die unterschiedlichen Einflüsse des Kindergeldes genau beschrieben und als Ergebnis festgehalten, dass bei den jeweiligen Anrechnungsnormen gerade für besonders auf familienfördernde Leistungen angewiesene Berechtigte nur schwer durchschaubar sei, in welcher Höhe eine Unterstützung durch das Kindergeld eingreife. Heute sind zwar Bezugsgröße und anzurechnender Betrag leicht zu erkennen. Der Stellenwert des Kindergeldes in seinen unterschiedlichen Funktionen ist hingegen so undurchschaubar wie eh und je.
Für das eingangs dargestellte Fallbeispiel ergibt sich nach einer Scheidung der Ehe folgende Entwicklung:
Einkommensberechnung |
Sozialrechtliche Vergleichsberechnung |
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Einkommen brutto |
2.165 EUR |
Regelsatz |
364 EUR |
./. Lohnsteuer/Solidarzuschlag |
– 267 EUR |
Kosten der Unterkunft (warm) |
342 EUR |
./. Kirchensteuer |
– 10 EUR |
Bedarf Summe |
706 EUR |
./. Rentenversicherung |
– 215 EUR |
Anrechenbares Einkommen |
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./. Kranken-/Pflegeversicherung |
– 199 EUR |
Einkommen netto |
1.442 EUR |
./. Arbeitslosenversicherung |
– 33 EUR |
./. Grundfreibetrag |
–100 EUR |
+ Wohngeld |
0 EUR |
./. Freibetrag Erwerbstätige |
– 230 EUR |
Einkommen netto |
1.442 EUR |
anrechenbar |
1.112 EUR |
Der gesetzliche Mindestbedarf der Kinder beträgt 2 × 364 EUR = 728 EUR. Unter Anrechnung des hälftigen Kindergeldes wären 544 EUR zu zahlen. Diese sind bei einem Einkommen von 1.442 EUR nicht mehr aufzubringen, ohne dass nach sozialrechtlichen Maßstäben der notwendige Lebensbedarf des Schuldners gefährdet wäre. Ein wichtiger Faktor ist dabei die unzulängliche Abstimmung mit dem Steuerrecht. Es besteht eine Diskrepanz zu der steuersystematisch gebotenen Freistellung des gesamten sächlichen Existenzminimums. Dies bedingt zwangsläufig eine Erhöhung bei den sozialen Transferleistungen.
Bezogen auf den Beispielsfall ist festzuhalten, dass
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dem Unterhaltsschuldner kein Steuerfreibetrag in Höhe des zu leistenden sächlichen Existenzminimums (2 × 4.368 EUR) gewährt wird, |
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infolgedessen der erhöhte Steuerabzug das Nettoeinkommen und damit allgemein die Leistungsfähigkeit mindert, |
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die nur teilweise Anrechnung des Kindergeldes auf den Mindestbedarf eine geringere Entlastung bewirkt, als sie steuerlich geboten wäre und |
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auf Seiten des Unterhaltspflichtigen der Sozialtransfer beim Kinder- und Wohngeld entfällt. |
Im Ergebnis hat die veränderte Anrechnung des Kindergeldes bewirkt, dass – übertragen auf heutige Zahlen – der Mindestunterhalt für ein Kind der ersten Altersstufe nicht mehr bei einem Bruttoverdienst von 1.600 EUR (Stundenlohn 9,30 EUR) sondern erst ab monatlich 1.770 EUR (Stundenlohn 10,30 EUR) aufgebracht werden kann. Für zwei Kinder der zweiten Altersstufe verschiebt sich die Grenze von 2.000 EUR brutto auf 2.370 EUR brutto. Die Belastung des Nettoeinkommens ist nur die eine Seite der Medaille; entscheidend ist ihre Rückseite, nämlich der für die verlangte (Mehr-)Leistung notwendige Bruttoverdienst. Dieser wächst überproportional. Bei unveränderten Realeinkommen steigt die Zahl der sich rechnerisch ergebenden Mangelfälle – in der Sache ändert sich hingegen nichts, wenn im unteren Einkommenssegment das ganze Kindergeld oder zumindest der überwiegende Teil zur Deckung des Barbedarfs erforderlich ist. Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen Rechtspflicht und der durch zwangsläufige Abgaben geprägten wirtschaftlichen Realität.
Das angestrebte Ziel, den betreuenden Elternteil finanziell zu entlasten, lässt sich ohnehin nur erreichen, wenn dieser über ein bedarfsdeckendes Einkommen verfügt. Bei Abhängigkeit von der sozialen Grundsicherung ist ein ggf. freier Teil des Kindergeldes als Einkommen auf den Bedarf anzurechnen und mindert die übrigen Leistungen (§ 11 Abs. 1 S. 4 SGB II).
Noch ein weiterer Effekt stellt das gewünschte Ergebnis infrage. Konnte der Unterhaltsschuldner den um das hälftige Kindergeld verminderten Regelbetrag leisten, blieb sein Einkommen in Höhe des halben Kindergeldes anrechnungsfrei, d.h. es stand ihm tatsächlich ein entsprechend höheres Einkommen zur Verfügung. Mit der N...