Laut OLG Stuttgart sind diejenigen Umstände, die in einem im Jahr 2007 durch Urteil entschiedenen Unterhaltsrechtsstreit bereits hätten berücksichtigt werden können, in einem nach dem 1.1.2008 eingeleiteten Abänderungsverfahren zum Aufstockungsunterhalt präkludiert, wenn bereits gemäß dem vor dem 1.1.2008 geltenden Recht, insbesondere nach der Änderung der Rechtsprechung des BGH ab Frühjahr 2006, eine Befristung des Ehegattenunterhalts möglich gewesen wäre. §§ 323 Abs. 2, 767 Abs. 2 ZPO bzw. § 238 Abs. 2 FamFG blockieren solche Alttatsachen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung. Diese Entscheidung betrifft die leider sehr häufigen Fälle, in denen der Anwalt die tatsächliche Tragweite der inzwischen berühmt-berüchtigten Entscheidung des BGH vom 12.4.2006 vor dem 1.1.2008 nicht erkannt oder gar die Entscheidung an sich übersehen oder einfach noch nicht gesehen hatte. Die Tatsache, dass eine Befristung des nachehelichen Aufstockungsunterhalts im Urteil nicht erfolgte, obwohl die Voraussetzungen einer Befristung vorgelegen hätten, nur weil der Anwalt die Möglichkeit gar nicht erkannt hat, führt grundsätzlich dazu, dass dem Unterhaltsschuldner die Berufung auf die Befristungsmöglichkeit auch künftig verwehrt bleibt, sofern sich ansonsten an den Umständen der Parteien nichts ändert. Ein nach dem 1.1.2008 deshalb eingeleitetes Abänderungsverfahren hinsichtlich des Alturteils bleibt daher in der Regel erfolglos.
Dieser vor dem 1.1.2008 sehr häufig unterlaufene Fehler kann sich so natürlich aktuell nicht wiederholen. Aufpassen muss jedoch jeder Anwalt, der mit der Abänderung bzw. Befristung eines Urteils, welches aus dem Zeitraum April 2006 bis Ende 2007 stammt, beauftragt wird. Er muss sich genau überlegen, ob ein von ihm eingeleitetes Abänderungsbegehren überhaupt Erfolgsaussichten haben kann oder ob es nicht etwa präkludiert ist, weil der damals tätige Anwalt fehlerhaft gehandelt hatte. Für den Kostenschaden aus dem sinnlosen Abänderungsverfahren haftet naturgemäß der aktuell beauftragte Anwalt. Der aktuell tätige Anwalt darf in dieser Situation nicht übersehen, ggf. von sich aus an einen Regress gegen den zuvor tätigen Anwalt zu denken und den Mandanten entsprechend zu beraten.
Sowohl beim möglichen Regress als auch bei der Geltendmachung eines Abänderungsbegehrens ist zusätzlich zum Stichtag der mündlichen Verhandlung eine weitere Zeitschranke zu beachten, nämlich, innerhalb welcher Zeit der Anwalt überhaupt das BGH-Urteil vom 12.4.2006, welches die Befristung nachehelichen Unterhalts sozusagen revolutioniert hat, kennen musste. So etwas wie Rechtssicherheit gibt es hier für Anwälte leider nicht. Der BGH hat sich zuletzt vor über 30 Jahren mit der Frage befasst, bis wann Anwälte neue höchstrichterliche Rechtsprechung zur Kenntnis genommen haben müssen. In einer Entscheidung hatte der BGH darauf abgestellt, wann die Veröffentlichung in den Zeitschriften erfolgte und hierbei zwischen der NJW und sonstigen Fachzeitschriften, beispielsweise der FamRZ klar differenziert: Die NJW muss danach quasi jeder Anwalt unverzüglich lesen, "die Durchsicht von Fachzeitschriften muss dann im Interesse der rechtzeitigen Erledigung noch wichtigerer Aufgaben zurückgestellt werden". In einer weiteren Entscheidung führt der BGH aus, dass ein Anwalt, der eine "allgemeine Beratungs- und Prozesspraxis" unterhält, nicht verpflichtet sei, sich anhand der FamRZ oder einer anderen Spezialzeitschrift zu unterrichten. Es sei ihm vielmehr unbenommen, sich (nur) einer allgemeinen juristischen Zeitschrift zu bedienen, welche die zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen des BGH in einem noch angemessenen zeitlichen Abstand zum Abdruck bringt, dazu gehöre neben der NJW die MDR.
Das Urteil vom 12.4.2006 ist in den einschlägigen Zeitschriften erst sehr verzögert veröffentlich worden: in der FamRZ in Heft 14 vom 15.7.2006, in der NJW sogar erst in Heft 33 vom 14.8.2006. Gemäß der BGH-Sichtweise aus 1978/1979 hätte jeder allgemein tätige Anwalt das Urteil vom 12.4.2006 erst unverzüglich nach dem 14.8.2006 kennen und anwenden müssen. Die Entscheidungen legen möglicherweise den Umkehrschluss nahe, dass ein Fachanwalt für Familienrecht sehr wohl eine Spezialzeitschrift lesen müsste. Dieser hätte dann das BGH-Urteil vom 12.4.2006 schon zeitnah nach dem 15.7.2006 kennen müssen, also einen Monat früher als der Nicht-Fachanwalt.
Das OLG München geht hier mit Urteil vom 17.7.2007 (4 UF 108/07) noch weiter: zunächst wird in der Entscheidung differenziert, ob es sich um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt oder einen Anwalt ohne Fachanwaltsqualifikation für Familienrecht; dann wird weiter verlangt, dass ein Fachanwalt Entscheidungen des BGH im Internet auf der Homepage des BGH lesen bzw. suchen muss. Bedeutet das nun, dass jeder Fachanwalt für Familienrecht täglich oder wöchentlich in der frei zugänglichen Internet-Datenbank des BGH alle neu eingestellten Entscheidungen des BGH durchsehen muss, oder nur die des für Familiensachen zuständig...