I. Allgemeines
Die Härteklauseln im Versorgungsausgleich (VA) stellen ein wichtiges anwaltliches Gestaltungsmittel im VA dar, da sie in Fällen grober Unbilligkeit einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des VA ermöglichen. Hierzu bedarf es anwaltlichen Vortrags, ggf. auch Beweisantritts. Die generelle Härteklausel für den VA ist in § 27 VersAusglG geregelt; darüber hinaus finden sich Regelungen für besondere Fallkonstellationen in Art. 17 Abs. 3 S. 2 EGBGB (VA auf Antrag bei Ausländern) und § 19 Abs. 3 VersAusglG (Unterbleiben des VA wegen ausländischer, zwischen- oder überstaatlicher Anrechte des anderen Ehegatten).
Die vielfältigen Härteregelungen des vorherigen VA-Rechts (z.B. §§ 1587c, 1587h BGB mit den jeweiligen Fallgruppen; § 10a VAHRG) sind jetzt in der Generalklausel des § 27 VersAusglG zusammengefasst, die auch für den schuldrechtlichen Ausgleich und die Abänderung gilt (§ 226 Abs. 3 FamFG). Bei der Abänderung sind allerdings nur nachträglich entstandene Härtegründe zu berücksichtigen und bezieht sich die Prüfung darauf, ob die Abänderung grob unbillig ist.
II. Von der früheren Rechtsprechung entwickelte Fallgruppen
Zu den Härteregelungen nach altem VA-Recht ist eine umfangreiche Rechtsprechung ergangen, die auch auf § 27 VersAusglG angewandt werden kann, sofern das neue Recht nicht spezielle Regelungen enthält (wie z.B. zur kurzen Ehezeit).
Hier wurden insbesondere folgende Fallgruppen herausgearbeitet:
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fehlende Wirtschaftsgemeinschaft, |
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phasenverschobener Erwerb (Rentner-, Studentenehe), |
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lange Trennungszeit, |
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Zweckverfehlung des VA, |
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eheliches Fehlverhalten, |
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grobe Verletzung von Unterhaltspflichten, |
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Vereitelung eigenen Anwartschaftserwerbs. |
III. Neue von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppen
In letzter Zeit hat die Rechtsprechung weitere Fallgruppen entwickelt, die zu einer Anwendung der Härteregelung Veranlassung geben.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen Fällen, in denen der VA bezüglich eines Anrechts des Ausgleichspflichtigen ausgeschlossen oder herabgesetzt wird (dazu 1.), und solchen, in denen der Ausgleich eines Gegenanrechts ausgeschlossen oder herabgesetzt wird, weil der Pflichtige von seinem Anrecht nichts oder weniger abgibt (dazu 2.).
1. Ausschluss oder Herabsetzung eines Anrechts des Ausgleichspflichtigen
Der BGH hat kürzlich entschieden, dass § 28 VersAusglG auf den Ausgleich betrieblicher Invaliditätsversorgungen nicht entsprechend anwendbar sei. § 28 VersAusglG sieht vor, dass private Invaliditätsversorgungen in den VA nur dann einbezogen werden, wenn der Versicherungsfall in der Ehezeit eingetreten ist und der Ausgleichsberechtigte ebenfalls invalide ist. Der BGH hat jedoch für den Fall einer betrieblichen Invaliditätszusage eine Anwendung des in § 28 VersAusglG enthaltenen Grundgedankens über § 27 VersAusglG befürwortet. Dies soll dann gelten, wenn aufgrund des Eintritts der Invalidität in der Ehezeit der Kapitalwert eines Anrechts des Ausgleichspflichtigen erheblich gestiegen ist. Bei einem ungekürzten Ausgleich würde der nicht invalide Ehegatte dadurch eine unverhältnismäßig hohe Altersversorgung aus dem Anrecht beziehen. Demgegenüber muss das dem Ausgleichspflichtigen verbleibende Anrecht auch die Zeit seiner Invalidität bis zum Erreichen der Altersgrenze abdecken. Deshalb kann ein Ausschluss bzw. eine Herabsetzung des Ausgleichs auf den Betrag geboten sein, der ohne die Invalidität als Ausgleich zu zahlen wäre. Insoweit ist nicht wie sonst eine umfassende Gesamtabwägung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Ehegatten geboten, sondern der Prüfungsumfang aufgrund der Vorgaben des BGH eingeschränkt.
2. Ausschluss oder Herabsetzung des Ausgleichs von Gegenanrechten
a) Wertverzehr
Ein Wertverzehr kann bei Rentenbezug aus einem kapitalgedeckten oder rückstellungsfinanzierten betrieblichen Anrecht entstehen, wenn die Rente nach Ehezeitende gezahlt wird. Dann ist der Wert des Anrechts zum Zeitpunkt der Entscheidung über den VA ggf. gegenüber dem zum Ehezeitende vorhandenen gemindert. Dies kann insbesondere bei langer Verfahrensdauer der Fall sein, wenn schon zahlreiche Rentenbeträge ausgezahlt wurden. Der BGH hat hier jedoch nicht auf das Deckungskapital abgestellt, sondern auf den noch vorhandenen Restbarwert des Anrechts. Unterschreitet dieser den bei Ehezeitende vorhandenen, so liegt ein Wertverzehr vor und ist der Ausgleich nur noch bezüglich des Restwertes vorzunehmen. Zu dessen Ermittlung ist eine neue Auskunft einzuholen, die auf einen vom Gericht vorgegebenen Zeitpunkt der voraussichtlichen Rechtskraft der VA-Entscheidung abstellt. Auf diesen Zeitpunkt sind sämtliche Rechnungsgrundlagen zu beziehen, also die biometrischen Faktoren ebenso wie der Rechnungszins. Das Vorliegen eines Wertverzehrs ist in diesem Fall jedoch nicht zwingend. Insbesondere kann das Absinken des sog. BilMoG-Zinses, der für den VA aus dem durchschnittlichen Marktzins der letzten sieben Jahre berechnet wird, dazu führen, dass in Ausnahmefällen sogar ein höherer Barwert als bei Ehezeitende vorhanden ist. Dieser ist jedoch dann unbeachtlich. Der Wert...