Die vorstehende Entscheidung enthält mehrere interessante Aspekte:
1. "Praktikabilität schlägt Dogmatik" – so könnte man kurz zusammengefasst die Überlegungen des BGH zur Rangfolge bei Teilansprüchen im Mangelfall umschreiben.
Es war nach der Unterhaltsreform 2008 in der Literatur streitig, ob die Dogmatik zu den Teilansprüchen im nachehelichen Unterhalt noch aufrecht zu erhalten ist. Es wurde vertreten, dass es einer Differenzierung zwischen Teilansprüchen nicht mehr bedarf, weil nunmehr – im Gegensatz zum alten Recht – alle Unterhaltstatbestände einer Unterhaltsbegrenzung einschließlich einer Befristung unterliegen können. Der BGH hatte jedoch zum neuen Recht schon früh entschieden, dass die Dogmatik der Teilansprüche fortbesteht.
Besteht keine Erwerbsobliegenheit, z.B. wegen Kinderbetreuung oder wegen Krankheit, so stützt sich der Unterhaltsanspruch stets in vollem Umfang auf § 1570 BGB bzw. § 1572 BGB, unabhängig von der Höhe des Anspruchs. Teilansprüche können sich nur dann ergeben, wenn lediglich eine Obliegenheit zu einer teilweisen Erwerbstätigkeit besteht. Man erkennt Teilansprüche (erst), wenn man eine Vergleichsberechnung durchführt. Rechnet man fiktiv mit Einkünften des Berechtigten bei einer Vollzeittätigkeit und verbleibt auch dann noch ein Unterhaltsanspruch, so kann ein Teil des Unterhaltsanspruchs nicht auf der Einschränkung der Erwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung oder wegen Krankheit beruhen, sondern sich nur als Aufstockungsanspruch ergeben.
Es gibt unterschiedliche Berechnungswege, den Gesamtunterhalt auf die Unterhaltstatbestände zu verteilen. Nach h.M. entspricht der Betrag aus der Differenz zwischen dem Teilzeiteinkommen und dem fiktiven Vollzeiteinkommen des Berechtigten dem Anspruch aus § 1570 BGB. Der darüber hinausgehende Unterhalt beruht auf § 1573 Abs. 2 BGB. Diese Berechnungsmethode funktioniert aber nur, wenn der Unterhaltsanspruch bei Teilzeittätigkeit höher ist als die Einkommensdifferenz zwischen tatsächlichen Teilzeit- und fiktiven Vollzeiteinkünften beim Berechtigten. Daher wird auch die Berechnungsmethode vertreten, dass der Unterhaltsbetrag, der sich bei Berechnung mit einem Vollzeiteinkommen der Unterhaltsberechtigten ergeben würde, insgesamt dem § 1573 Abs. 2 BGB unterfällt und nur der Differenzbetrag zum berechneten Unterhalt bei Teilzeittätigkeit noch auf Kinderbetreuung beruht.
Für den Mangelfall stellt sich das Problem, dass Unterhaltsansprüche wegen Kinderbetreuung gemäß § 1609 Nr. 2 BGB im zweiten Rang stehen, während Ansprüche auf Aufstockungsunterhalt lediglich den dritten Rang (§ 1609 Nr. 3 BGB) einnehmen. Der errechnete Unterhalt könnte sich dann auf zwei verschiedene Rangstufen aufteilen. Virulent wird das, wenn dieser Unterhaltsanspruch mit solchen eines zweiten Ehegatten oder Ansprüchen aus § 1615l BGB zusammentrifft. Der BGH hat eine Aufteilung des Unterhalts auf zwei verschiedene Rangstufen nunmehr abgelehnt und sich dazu auf die Auslegung des Wortlauts der Vorschrift gestützt. § 1609 Nr. 2 BGB stelle nicht auf den Unterhaltstatbestand als solchen ab, sondern auf die Person des kinderbetreuenden Elternteils. Soweit ein Elternteil Ansprüche zumindest auch aus § 1570 BGB hat, fällt der gesamte Unterhaltsanspruch, also auch der Teilanspruch aus Aufstockung, in den zweiten Rang.
Das ist eine praktikable Auslegung, die dogmatisch aber nicht zwingend ist. Der BGH hat nämlich in früheren Entscheidungen herausgestellt, dass es nicht gerechtfertigt sei, den Aufstockungsteil eines Unterhaltsanspruchs in die Privilegien einzubeziehen, die das Gesetz allein für den Anspruch auf Betreuungsunterhalt gewährt. Von diesen Überlegungen weicht der BGH für die Auslegung des § 1609 Nr. 2 BGB aus Praktikabilitätsgründen ab. Es wäre kaum mehr zu handhaben, auch noch mit gespalteten Unterhaltsrängen zu rechnen, wenn der Unterhaltsanspruch zusammentrifft mit Ansprüchen eines anderen Ehegatten oder aus § 1615l BGB.
Gleichwohl lässt sich die Entscheidung des BGH nicht auf andere Anwendungsfälle der Teilansprüche anwenden. Das Problem der Teilansprüche stellt sich auch im Rahmen der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578b BGB. Dort stellt die Rechtsprechung dogmatisch nicht auf die Person des Berechtigten ab, sondern auf den jeweiligen Unterhaltstatbestand. Billigkeitskriterien werden beim Unterhalt wegen Krankheit anders ausgestaltet und gewichtet als beim Aufstockungsunterhalt, so dass die Entscheidung des BGH auf diesen Fall nicht übertragbar ist. Sie ist auch nicht übertragbar auf Regelungen in Eheverträgen oder Scheidungsvereinbarungen, die nicht selten Differenzierungen zur Laufzeit und Höhe eines nachehelichen Unterhalts anhand der verschiedenen Unterhaltstatbestände vornehmen. Auch hier bleibt es dabei, dass eine genaue Ermittlung der Teilansprüche vorgenommen werden muss.
2. Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Es wird interessant sein zu verfolgen, wie das OLG den Fall der konkurrierenden Ansprüche entscheiden wi...