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Das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern vom 17.7.2017[1] ist am 1.10.2017 in Kraft getreten. Die Vorschrift des § 1631b BGB, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4.7.2008[2] nur über insgesamt drei Sätze verfügte, hat nunmehr zwei Absätze: In § 1631b Abs. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung geregelt, in § 1631b Abs. 2 BGB nunmehr die freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Kindern. Nach dieser Vorschrift ist die Genehmigung des Familiengerichts auch dann erforderlich, wenn dem Kind, das sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Einrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise die Freiheit entzogen werden soll.

[1] BGBl I 2017, 2424.
[2] BGBl I 2008, 1188.

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Die Vorschrift des § 1631b Abs. 2 BGB enthält neue materielle und verfahrensrechtliche Anspruchsvoraussetzungen, die im Folgenden erörtert werden sollen.

I. Historischer Ursprung des familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern nach § 1631b Abs. 2 BGB

Der BGH[3] hat die in Rechtsprechung und Literatur bislang kontrovers diskutierte Frage, ob eine Genehmigungspflicht für die freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Minderjährigen auch im Rahmen des § 1631b BGB der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf, in dem Sinn entschieden, dass

Zitat

"die nächtliche Fixierung eines Kindes in einer offenen heilpädagogischen Einrichtung keine genehmigungsbedürftige Unterbringungsmaßnahme i.S.d. § 1631b BGB ist und dass die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB nur für volljährige Betreute gilt und im Kindschaftsrecht nicht analog angewendet werden kann.“"

[Hervorh. d. Verf.]

Er kam zu dem Ergebnis, dass eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz nicht vorläge, sodass es an der Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB bereits fehle. Im Übrigen sei die Situation des Minderjährigen im Kindschaftsrecht auch nicht vergleichbar mit der des Betroffenen im Betreuungsrecht. Der Betreuer habe lediglich die rechtliche Verantwortung für seinen Betroffenen, die Eltern trügen hingegen nicht nur die rechtliche, sondern auch die persönliche Verantwortung für ihre Kinder. Die primäre Entscheidungszuständigkeit läge bei den Eltern. Die staatliche Verantwortung und die Kontrolle seien im Bereich des Erziehungsrechts eingeschränkt. Aufgrund seines Wächteramtes dürfe der Staat in das Elternrecht nur eingreifen, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage bestehe. Da sie (bislang) fehle, könne nur der Gesetzgeber darüber entscheiden, ob auch unterbringungsähnliche Maßnahmen bei Minderjährigen in einer freiheitsentziehenden Einrichtung der Anordnung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts bedürfen. Der Gesetzgeber hat die Erforderlichkeit eines Genehmigungsvorbehalts bei freiheitsentziehenden Maßnahmen bejaht. Seiner Ansicht nach

Zitat

"können freiheitsentziehende Maßnahmen nämlich mindestens ebenso schwerwiegend und belastend sein wie eine gemäß § 1631b BGB genehmigungspflichtige freiheitsentziehende Unterbringung. (…) Durch die (…) Einführung eines Genehmigungstatbestandes für freiheitsentziehende Maßnahmen auch jenseits der freiheitsentziehenden Unterbringung wird ein Gleichlauf des Kinderschutzes und des Erwachsenenschutzes gewährleistet, da im Betreuungsrecht gemäß § 1906 Abs. 4 BGB bereits heute ein Genehmigungserfordernis besteht."

[3] BGH NJW 2013, 2969 = ZKJ 2013, 449 = JAmt 2013, 661 = FuR 2013, 713 = FamRB 2013, 356, bespr. von Moll-Vogel = FamRZ 2013, 1646 m. Anm. Salgo, FamRZ 2013, 1719.

II. Die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 1631b Abs. 2 BGB

Rechtsprechung zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 1631b Abs. 2 BGB liegen bislang noch nicht vor, insbesondere fehlen Ausführungen zu "über einen längeren Zeitraum", "regelmäßig" und "in nicht altersgerechter Weise". Veröffentlicht wurden zwischenzeitlich lediglich zwei Rechtsgutachten des DIJuF[4] zu der Vorschrift des § 1631b Abs. 2 BGB. Mit Rücksicht hierauf muss zur Klärung der einzelnen Begriffe auf die Begründung des historischen Gesetzgebers[5] abgestellt werden.

Bei den Tatbestandsmerkmalen "über einen längeren Zeitraum" und "regelmäßig" nimmt der Gesetzgeber selbst Bezug auf die Begründung zum Betreuungsgesetz:[6]

Zitat

"Danach liegt ein" “regelmäßiges' Hindern vor, wenn es entweder stets zur selben Zeit erfolgt (Absperren der Tür jeweils zur Nachtzeit) oder aus wiederkehrendem Anlass (wiederkehrendes Einsperren eines Betreuten jedes Mal, wenn er die Nachtruhe stört). Ein "ununterbrochenes" Hindern setzt nicht voraus, dass die Maßnahme auf lange Dauer angelegt ist. Im Gegensatz zum regelmäßigen Hindern ist aber erforderlich, dass es nicht nur während bestimmter Zeiten oder aus bestimmten Anlässen erfolgt. Eine feste Grenze, bei deren Überschreiten eine vorübergehende Maßnahme zu einer ununterbrochenen wird, ist in Absatz 4 nicht vorgesehen. Erwogen werden könnte zwar eine Begrenzung auf den nach Beginn der Maßnahme folgenden Tag, wie dies bei freiheitsentziehenden Maß...

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