Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der 183-Tage Regelung nach Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich setzt physische Anwesenheit im Inland voraus
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Anwendung der 183-Tage Regelung des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich zählen nur solche Tage als Aufenthaltstage im Inland, an denen sich die in Frankreich ansässige Person berufsbedingt physisch im Inland aufhält. Danach zählen Wochenenden und Feiertage, an denen sich die Person nachweislich nicht berufsbedingt physisch im Inland aufhält, nicht unter die 183-Tage Regelung.
2. Da die Verständigungsvereinbarung vom 16.2.2006 bei der vom FA vorgenommenen Auslegung, nach der auch Wochenenden, an denen sich der in Frankreich ansässige Steuerpflichtige physisch nicht im Inland aufgehalten hat, bei der Berechnung der 183-Tage-Regelung mitzuzählen sind, dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich widerspricht, bleibt es bei der Letztverbindlichkeit des Abkommens in seiner i. S. d. Art. 15 Abs. 2 OECD-MustAbk in nationales Recht umgesetzten Fassung.
Normenkette
DBA FRA Art. 13 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5, Art. 2 Abs. 2; EStG § 1 Abs. 1, 4, § 49 Abs. 1 Nr. 4; AO §§ 8-9; OECD-MustAbk 1977 Art. 15 Abs. 2; GG Art. 80 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Einkommensteuerbescheide für 2001 und 2002 jeweils vom 28. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2007 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Berechnung der Dauer des Aufenthalts nach der sog. 183-Tage-Regelung gemäß Art. 13 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA-Frankreich) vom 21. Juli 1959 (BGBl 1961 II S. 398), zuletzt geändert durch Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 (BGBl 2002 II S. 2370).
Der verheiratete Kläger ist französischer Staatsangehöriger und hatte in den Streitjahren 2001 und 2002 seinen einzigen Wohnsitz in der Grenzzone Frankreichs (vgl. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich und BMF-Schreiben vom 11. Juni 1996 – IV C 5 – S 1301 Fra – 15/91 – BStBl I 1996, S. 645). Er war in den Streitjahren für seinen in Frankreich ansässigen Arbeitgeber als Monteur auch im Inland tätig, und zwar im Jahr 2001 insgesamt an 166 Werktagen und im Jahr 2002 an 157 Werktagen. Dabei pendelte der Kläger täglich zwischen seinem französischen Wohnsitz und der Einsatzstelle in Deutschland, die sich an mehr als 45 Tagen im Jahr außerhalb des Grenzgebiets im Sinne von Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich befand. Der Kläger arbeitete nach der Bescheinigung seines Arbeitgebers von Montag bis Freitag (Gerichtsakte Bl. 140). Am Wochenende hatte er frei und hielt sich (physisch) nicht im Inland auf. Der Arbeitgeber hatte in Deutschland weder eine Betriebsstätte noch eine feste Einrichtung. Die Besteuerung der Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit erfolgte ohne Abzug der deutschen Lohnsteuer in Frankreich.
Mit Schreiben vom 27. April 2005 forderte das Finanzamt (FA) den Kläger auf, eine deutsche Steuererklärung für die Jahre 2001 und 2002 abzugeben, da im Rahmen eines Steueraufsichtsverfahrens festgestellt worden sei, dass der Kläger für einen französischen Arbeitgeber in Deutschland gearbeitet habe.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2005 teilte der Kläger dem FA mit, dass nach Art. 13 Abs. 4 DBA-Frankreich das Besteuerungsrecht im Ansässigkeitsstaat Frankreich und nicht im Inland liege, da er sich in den Streitjahren jeweils an weniger als 183 Tagen in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe.
Das FA vertrat dagegen die Auffassung, dass die vom Kläger aufgrund seiner Tätigkeit im Inland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich in der Bundesrepublik Deutschland zu besteuern seien. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des Art. 13 Abs. 4 DBA-Deutschland lägen nicht vor, da sich der Kläger länger als 183 Tage im Inland aufgehalten habe. Nach der zwischen Deutschland und Frankreich getroffenen Verständigungsvereinbarung vom 20. Februar 1980 (BStBl I 1980, S. 88), abgelöst durch die Vereinbarung vom 16. Februar 2006 (BStBl I 2006, S. 304), würden bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer auch Sonn- und...