Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelmäßiges Pendeln über die Grenze als Voraussetzung der Grenzgängereigenschaft. Geschäftsreisen in den Ansässigkeitsstaat sind keine Nichtrückkehrtage. Rechtsnatur und Bindungswirkung von Verständigungsvereinbarungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Von einem regelmäßigen Pendeln über die Grenze als notwendige Voraussetzung der Grenzgängereigenschaft ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich – in den Streitjahren jeweils an mehr als 150 Arbeitstagen – die Grenze zwischen Wohnsitzstaat und Tätigkeitsstaat in beide Richtungen überquert.
2. Geschäftsreisen in den Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers sind bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage i. S. von Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz nicht zu berücksichtigen.
3. Verständigungsvereinbarungen kommt keine unmittelbare Gesetzeskraft zu, auch trotz ihrer völkerrechtlichen Qualität als Verwaltungsabkommen i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG. Sie dienen lediglich als Auslegungshilfe, wenn das in ihnen dargestellte Verhandlungsergebnis auch mit den Auslegungsregeln der allgemeinen Rechtslehre gewonnen werden kann.
Normenkette
DBA CHE Art. 15a Abs. 1; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2 S. 2; GG Art. 59 Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die für die Veranlagungszeiträume 1997, 1999–2001 (Streitjahre) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Die Kläger haben drei Kinder. Die Klägerin erzielte als Hausfrau keine steuerpflichtigen Einkünfte (aus nichtselbständiger Arbeit). In den Mantelbögen zu den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre wird angegeben, dass der Kläger den Beruf des Geschäftsführers ausgeübt habe (a.a.O., Zeile 72, Bl. 23, 63, 78 und 105 der Einkommensteuerakten Band II – im folgenden: ESt-Akten –). Nach Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vom 14. Januar 1999 wurde der Kläger als alleiniger Geschäftsleiter/Direktor eingestellt. Die Kläger hatten in den Streitjahren ihren Wohnsitz in ….
Nach den Angaben im Arbeitsvertrag vom 14. Januar 1999 ist der Kläger seit dem 1. Januar 1990 bei der Firma T. (S.A.) in R., Rue de F. (im Kanton Jura/CH [République et Canton du Jura, Recette et administration de district, Delemont, Bl. 38 der ESt-Akten] – im folgenden: T.-S.A. bzw. Arbeitgeberin). Diese befindet sich in Liquidation, nachdem am 30. April 2007 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens (Declaration de faillite, S. 29 des Schweizerischen Handelsregisters, Bl. 176 der FG-Akten) gestellt wurde (Hinweis auf den Handelsregisterauszug von Bl. 176–178 der FG-Akten). Die Entfernung der Arbeitsortes des Klägers in R. zu seinem Wohnort in … beträgt nach den Routenplaner von Falk 58,97 km (Bl. 179–182 der FG-Akten).
Ein (schriftlicher) Arbeitsvertrag für das Streitjahr 1997 wurde dem Finanzgericht (FG) trotz einer entsprechenden Aufforderung nicht vorgelegt (Hinweis auf Ziff. I zur Ladungsverfügung vom 16. Mai 2007, Bl. 58 der FG-Akten). Nach den Angaben des Klägers war ein solcher Vertrag auch seit dem Beginn seiner Tätigkeit (bis 1999 – siehe zuvor –) nicht abgeschlossen worden. Für sein Arbeitverhältnis waren die Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechts vom 30. März 1911 – OR – maßgebend. Wegen der Tätigkeit des Klägers wird auf dessen Darstellung im Schriftsatz vom 20. August 2008 Bezug genommen (Bl. 217 und 219 der FG-Akten).
Im September 1995 wurde der Kläger zusammen mit einer weiteren Person, „tous deux ressortissants allemands, à R, sont nommés directeurs avec signature individuelle” (Bl. 192 der FG-Akten). Demzufolge wurde er nach der (zutreffenden) Übersetzung (vgl. hierzu das Schreiben des Klägers vom 20. Mai 2008, Bl. 195 der FG-Akten) zum Geschäftsführer mit individueller Unterschrift ernannt und am 5. September 1995 ins zuständige Handelsregister (Registre du commerce du Jura Registre principal) eingetragen. Ein Konstituierungsbeschluss (vgl. hierzu: Watter in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Honsell Vogt Watter [Hrsg.] Obligationenrecht II, 2. Aufl., 2002 – im folgenden: BSK OR II-Bearbeiter – Art. 718 Rn. 17) des Verwaltungsrates der T.-S.A. über die Einräumung der Organvollmacht (Art. 716 a Abs. 1 Nr. 4 OR in Verbindung mit Art. 718 bzw. Art. 812 OR) zugunsten des Klägers wurde dem FG nicht vorgelegt. Im Streitfall – so der stillschweigende Vortrag der Kläger – erfolgte die Bevollmächtigung des Klägers durch den Verwaltungsrat der T.-S.A. durch eine Wahl in die Funktion: „directeurs avec signature individuelle” durch das einzige Mitglied des Verwaltungsrates der T.-S.A. im Jahr 1995, W. R. (Bl. 188 der FG-Akten; Handelsregisterauszug Fol. 125, Anlage zum Schriftsatz der Kläger vom 14. Juni 2007). Nach den Angaben im Schriftsatz vom 20. Mai 2008 ist es am Sitz der T.-S.A...