Entscheidungsstichwort (Thema)
In der Regel keine Kindergeldabzweigung an den Grundsicherung leistenden Sozialhilfeträger. Umfang der Aufklärung der Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten. Mitwirkung bei der Aufklärung. Beschwer nach Abhilfebescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Abzweigung von Kindergeld für ein volljähriges behindertes Kind an den Grundsicherungsleistungen erbringenden Träger der Sozialhilfe ist grundsätzlich ausgeschlossen. Im Regelfall ist von der Annahme auszugehen, dass der Kindergeldberechtigte – der nicht selbst Sozialhilfeleistungen bezieht – mehr als den Kindergeldbetrag für sein zum Haushalt gehörendes behindertes Kind aufwendet.
2. Im Verfahren wegen der Abzweigung von Kindergeld ist eine umfassende Aufklärung der Unterhaltsaufwendungen des Kindergeldberechtigten nicht restlos möglich.
3. Der Kindergeldberechtigte kann im Verfahren wegen der Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherungsleistungen gewährenden Sozialleistungsträger nicht in einem besonders gesteigerten Maße zur Mitwirkung verpflichtet werden, akribisch ein Haushaltsbuch zu führen oder in ähnlicher Weise nachvollziehbar glaubhaft zu machen, ob und ggf. in welcher Höhe er aus welchen Einkünften Aufwendungen für den Unterhalt seines Kindes tätigt und dabei auch noch nach den einzelnen Bedarfsrubriken der sozialhilferechtlichen Regelsätze zu differenzieren.
4. Aus der Erbringung von Grundsicherungsleistungen lässt sich nicht schließen, dass bei dem Kindergeldberechtigten grundsätzlich keine Unterhaltsleistungen anfallen.
5. § 74 Abs. 1 EStG differenziert nicht zwischen dem notwendigen und dem weiteren Lebensbedarf und stellt auf den gesamten Kindesunterhalt ab.
6. Bei der Schätzung der Unterhaltsaufwendungen des Kindergeldberechtigten muss ausgeschlossen werden, dass schätzungsbedingte Unwägbarkeiten zu Lasten des Kindergeldberechtigten gehen. Eine Quotelung der festgestellten gemeinschaftlichen Haushaltsausgaben nach der Zahl der haushaltsgehörigen Personen – wie sie insbesondere auch bei der Methode, die „Deckungslücke” zu ermitteln, erfolgt –, erscheint fragwürdig (Entgegen FG Münster v. 25.3.2011, 12 K 1891/10 Kg, und 12 K 2057/10 Kg).
7. Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 FGO setzt nicht die (teilweise) Zurückweisung des Einspruchs voraus, sondern lediglich die (teilweise) Erfolglosigkeit desselben. Danach können die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO auch dann erfüllt und die Klage zulässig sein, wenn das Einspruchsverfahren mit einem Abhilfebescheid vollständig beendet wird, aber die Beschwer des Einspruchsführers auch nach der Abhilfeentscheidung bestehen bleibt.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 4, 3, §§ 68, 32 Abs. 4 S. 2; AO §§ 88, 162; SGB XII § 43 Abs. 2; SGB X § 104; FGO § 76 Abs. 1, § 44 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen, die diese Aufwendungen selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abzweigung von Kindergeld aus dem Anspruch der Beigeladenen für das Kind K. Z. an den Kläger für den Zeitraum ab November 2009.
Die Beigeladene bezieht fortlaufend Kindergeld für ihre am … 1960 geborene Tochter K. Die Tochter der Beigeladenen ist seit ihrer Geburt schwerbehindert und lebt im Haushalt der Beigeladenen. In dem Schwerbehindertenausweis ist ein Grad der Behinderung von 100 aufgeführt. Außerdem sind die Merkzeichen B [Notwendigkeit ständiger Begleitung], G [erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr], H [Hilflosigkeit], RF [die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und die Gebührenermäßigung beim Fernsprechhauptanschluss liegen vor] angebracht. Die Tochter der Beigeladenen bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und erhält seit 2003 von dem Kläger Grundsicherungsleistungen.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 beantragte der Kläger die Abzweigung des Kindergeldes aus dem Anspruch der Beigeladenen unter Hinweis auf die Gewährung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von zu diesem Zeitpunkt 203,26 Euro monatlich. Hilfsweise meldete er einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches an. Zur weiteren Begründung führte er aus, dass gemäß § 43 Abs. 2 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches Unterhaltsansprüche des Kindes gegen seine Eltern bei der Leistungsgewährung unberücksichtigt bleiben müssten, sofern die Eltern jährlich ein Gesamteinkommen von unter 100.000,00 Euro erzielten. Deshalb sei im Lichte der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes [Urteil vom 17. Dezember 2008, Aktenzeichen: III R 6/07] auch dann eine Abzweigung möglich, wenn der Kindergeldberechtigte nicht zum Unterhalt seines volljährigen Kindes verpflichtet sei, weil das Kind Grundsic...