Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Abzweigung von Kindergeld an den Grundsicherung gem. § 41ff. SGB XII gegenüber einem volljährigen behinderten Kind gewährenden Landkreis. Umfang der Aufklärung der Unterhaltsleistungen der Kindergeldberechtigten im Abzweigungsverfahren wegen Grundsicherungsleistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Regelfall ist anzunehmen, dass die Kindergeldberechtigten, die nicht selbst Sozialhilfeempfänger sind, einen den Kindergeldbetrag übersteigenden Unterhaltsbeitrag für ihr behindertes volljähriges im Haushalt lebendes Kind leisten, so dass eine Abzweigung des Kindergelds an den die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gewährenden Träger der Sozialhilfe ausgeschlossen ist.
2. Nach dem die Grundsicherung nach § 43 Abs. 2 SGB XII grundsätzlich ohne Prüfung der Leistungsfähigkeit des Kindergeldberechtigten gewährt wird, mindert sich entsprechend die diesbezügliche Aufklärungspflicht im Verfahren wegen der Kindergeldabzweigung an den die Grundsicherung zahlenden Landkreis. Eine Entscheidung über die Abzweigung muss auf Grundlage eines nur unvollständig ausgefüllten Sachverhalts ergehen.
3. Eine Pflicht des Kindergeldberechtigten zur Führung eines Haushaltsbuchs zum Nachweis seiner Unterhaltsaufwendungen besteht im Verfahren wegen der Abzweigung des Kindergeldes nicht.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 S. 4; SGB XII § 43 Abs. 2, § 41 Abs. 1, § 27a Abs. 1, § 94 Abs. 1 S. 3; AO §§ 88, 5; FGO §§ 76, 102
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage sinngemäß zurückgenommen worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob und ggf. in welcher Höhe der Kläger Anspruch auf Abzweigung des Kindergeldes für das Kind K. aus dem Anspruch der Beigeladenen hat.
Die Beigeladene bezieht fortlaufend Kindergeld für ihren am (…) geborenen Sohn K. Der Sohn der Beigeladenen ist schwerbehindert und lebt im Haushalt der Beigeladenen, die zur Betreuerin des Kindes bestellt ist [Amtsgericht W., Beschluss vom (…)]. In dem Schwerbehindertenausweis, dessen Kopie sich bei den Verwaltungsakten der Beklagten befindet, ist ein Grad der Behinderung von 80 eingetragen. Außerdem sind in dem Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen B [Notwendigkeit ständiger Begleitung], G [erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr] und H [Hilflosigkeit] angebracht. Der Sohn der Beigeladenen besuchte die Schule S. (Förderschule für Geistigbehinderte) in W. Er erhielt in diesem Zusammenhang ein – an die Beigeladene ausgezahltes – Ausbildungsgeld in Höhe von 62,00 Euro monatlich, das mit Wirkung ab September 2011 auf 73,00 Euro monatlich erhöht wurde.
Mit Schreiben vom 13. September 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Abzweigung des Kindergeldes aus dem Anspruch der Beigeladenen unter Hinweis auf die von ihm gewährte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von zu diesem Zeitpunkt 402,45 Euro monatlich. Hilfsweise meldete er einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 104 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches an. Zur weiteren Begründung führte er aus, dass gemäß § 43 Abs. 2 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches Unterhaltsansprüche des Kindes gegen seine Eltern bei der der Leistungsgewährung unberücksichtigt bleiben müssten, sofern die Eltern jährlich ein Gesamteinkommen von unter 100.000,00 Euro erzielten. Deshalb sei im Lichte der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes [Urteil vom 17. Dezember 2008, Aktenzeichen: III R 6/07] auch dann eine Abzweigung möglich, wenn der Kindergeldberechtigte nicht zum Unterhalt seines volljährigen Kindes verpflichtet sei, weil das Kind Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches erhalte.
Die hierzu angehörte Beigeladene erläuterte der Beklagten, dass die Betreuung ihres Sohnes für sie mit einem erheblichen behinderungsbedingten zusätzlichen Aufwand verbunden sei. Dazu legte sie der Beklagten eine entsprechende Aufstellung mit Belegen vor, in der die Beigeladene eine monatliche Belastung vom 409,00 Euro errechnete. In dem von der Beklagten ausgegebenen Fragebogen führte die Beigeladene zudem an, dass sie für ihren Sohn monatlich 50,00 Euro Taschengeld, 400,00 Euro für Bekleidung und behinderungsbedingte Änderungen an der Kleidung, 759,00 Euro für Fahrtkosten (z.B. zu therapeutischen oder medizinischen Maßnahmen) und 120,00 Euro für ärztliche und therapeutische Behandlungen ihres Sohnes aufwende. Hinzu kämen jährlich 143,96 Euro für Medikamente, 456,60 Euro für Ferien- und Freizeitunternehmungen sowie 2.597,06 Euro für die Teilnahme an einer näher bezeichneten Therapie. Zur Begleichung dieser Kosten verwende sie das Pflegegeld (430,00 Euro).
Die Beklagte lehnte den Antra...