Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Annahme einer Zollanmeldung - Reichweite der Altvertragsklausel beim Russland-Embargo

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine als "Rücknahme" bezeichnete Aufhebung der Annahme einer Zollanmeldung kann regelmäßig in einen Widerruf umgedeutet werden.

2. Zwischen den Begriffen "Verträgen" und "Vereinbarungen", die in § 77 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AWV nebeneinander genannt werden, besteht kein sachlicher Unterschied.

3. Unter die Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Nr. 2 AWV fällt nur die Erfüllung von konkreten schuldrechtlichen Leistungspflichten, die vor dem Stichtag begründet wurden.

4. Die Erfüllung eines Rahmenvertrags, der vor dem Stichtag geschlossen wurde, fällt nicht unter die Altvertragsklausel, wenn die Verpflichtung zur Lieferung einer Ware von weiteren Handlungen der Vertragsparteien abhängt und diese Handlungen nach dem Stichtag erfolgten.

 

Normenkette

UZK Art. 28, 134 Abs. 1; ZollVG § 7 Abs. 1 Nr. 3; AWV § 77 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 4 S. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

A.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf die Rücknahmen der Annahmen von fünf Zollanmeldungen.

Die Antragstellerin, ..., unterhält seit 200X eine Geschäftsverbindung mit der russischen Gesellschaft X. Die Vertragsparteien schlossen unter Wahl des russischen Rechts am 27.07.2011 den Vertrag Nr. x über die Lieferung von Jagd- und Sportmunition (im Folgenden: Vertrag vom 27.07.2011). Dort wird die Lieferung von zirka x Mrd. Stück Munition zu einem Kaufpreis von $ ... vereinbart. Menge und Kaufpreis der einzelnen Munitionstypen sind im Anhang 1 zu dem Vertrag spezifiziert (Ziff. 1 und 2.2). In Ziff. 4 heißt es:

4.1 The Goods should be delivered on terms FOB St. Petersburg (according to the terms of INCOTERMS 2010) till December 31, 2012.

[...]

4.3 The Goods will be delivered to the Buyers in lots. Nomenclature and quantity of lot of the Goods are defined by the Buyers' order.

In der Folgezeit änderten die Vertragsparteien durch insgesamt zwölf Supplemente (supplements) den ursprünglichen Vertrag, etwa im Hinblick auf den Kaufpreis und die zu liefernden Mengen. Durch die vier Supplemente Nr. 3, 4, 6 und 8 wurden die Verträge zunächst um jeweils sechs Monate, sodann um ein Jahr und zuletzt mit Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 um drei Jahre verlängert.

Auf Nachfrage der Antragstellerin teilte die Polizei Hamburg mit E-Mail vom 01.12.2014 mit, dass eine Verlängerung der Vertragsdauer eine zulässige Modifizierung eines Altvertrags darstelle, solange wesentliche Vertragsbestandteile nicht verändert würden.

Mit den fünf Zollanmeldungen vom 16.11.2016

* x,

* x,

* x

* x und

* x

meldete die Antragstellerin Patronen von X, die im Juli 2016 in ein Zolllager überführt worden waren, zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. Es handelt sich hierbei um Patronen der Kaliber P1, P2 und P3.

Diese Zollanmeldungen wurden zunächst am Tag der Anmeldung angenommen, die Waren aber noch nicht überlassen. Nach Konsultation des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie nahm der Antragsgegner am 29.12.2016 die Annahme der Zollanmeldungen gemäß § 2 Nr. 11 AWG, Art. 27 UZK i. V. m. § 7 Abs. 1 ZollVG zurück. Die angemeldete Munition unterliege Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste und sei daher vom Einfuhrverbot nach § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV erfasst. Die Munition sei nach dem 31.12.2014 in das Wirtschaftsgebiet verbracht worden. Das Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 werde als Neuvertrag bewertet, so dass die Ausnahmeregelung nach § 77 Abs. 3 AWV, wonach das Einfuhrverbot nicht für vor dem 01.08.2014 geschlossene Altverträge gelte, nicht greife.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 27.01.2017 Sprungklage (4 K 12/17), der der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 24.02.2017 zustimmte. Mit Bescheid vom 16.02.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 06.02.2017 auf Aussetzung der Vollziehung der Rücknahmen der Zollanmeldungen ab. Die Rücknahmen der Annahmen der fünf Zollanmeldungen seien voraussichtlich rechtmäßig, da die Einfuhr der Patronen nicht durch die Altvertragsregelung in § 77 Abs. 3 Nr. 2 AWV vom Importverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen sei. Vom Schutzzweck der Altvertragsregelung würden nur konkrete vertragliche Verpflichtungen erfasst, die vor dem Stichtag begründet worden seien. Dies sei hier nicht der Fall, da die Einfuhren in Erfüllung des mit dem Supplement Nr. 8 am 15.12.2014 verlängerten Vertrags erfolgten und daher nicht vom Schutzzweck der Altvertragsregelung erfasst seien. Eine Aussetzung der Vollziehung wegen eines unersetzbaren Schadens komme schon deshalb nicht in Betracht, weil hiermit die Hauptsache vorweggenommen werde.

Am 20.02.2017 hat die Antragstellerin einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Die Altvertragsklausel gelte - anders als ähnliche Regelungen bei anderen Embargos - zeitlich unbegrenzt. Die Prüfung, ob ein Altvertrag vorliege, müsse sich aus Gründen der Rechtssicherheit streng am Wortlaut der Vo...

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