Entscheidungsstichwort (Thema)

FGO/ZPO/VwGO: Reisekostenerstattung für Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Mehrkosten für einen auswärtigen Rechtsanwalt sind als notwendige Kosten erstattungsfähig, wenn ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann, weil der auswärtige Rechtsanwalt über

  1. besondere Fachkenntnisse in einer den konkreten Fall betreffenden rechtlichen Spezialmaterie und/oder
  2. besondere zur Fallbearbeitung notwendige Kenntnisse auf tatsächlichem Gebiet verfügt, die ihn von anderen ortsansässigen Rechtsanwälten abheben.

2. Diese Frage der Vergleichbarkeit ist aus Sicht eines verständigen, nicht notwendigerweise rechtskundigen, Beteiligten zu beantworten.

 

Normenkette

BRAGO § 28; FGO § 139 Abs. 1, § 149 Abs. 2, § 155 S. 1; VwGO § 162 Abs. 1, § 173; ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

A.

Nach teilweisem Obsiegen in der Klage-Hauptsache macht die Klägerin und Erinnerungsführerin (Klägerin) im Erinnerungsverfahren als Rechtsverfolgungskosten Reisekosten (Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder) ihres Prozessbevollmächtigten geltend, der seinen Sitz weder am Ort des Finanzgerichtes noch an dem mit dem Gerichtsort identischen Sitz der Klägerin unterhält ("Rechtsanwalt-am-dritten-Ort").

I.

Die Klägerin ist eine GmbH, die in Deutschland eine Konzertagentur betreibt. In den Jahren 1996 bis 1998 schloss sie Verträge mit Künstlern, Künstlergruppen und Agenturen, die in Großbritannien, den Niederlanden, Finnland, Schweden, Irland, Frankreich, Japan, Jamaika und den USA ansässig waren und die Staatsangehörigkeit des entsprechenden Staates besaßen bzw. nach den Vorschriften des betreffenden Staates gegründet worden waren.

Für jeweils das erste bis vierte Quartal der Streitjahre 1997 und 1998 meldete die Klägerin Steuerabzugsbeträge gemäß § 50a Abs. 4 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Streitjahrs (EStG) an (Finanzgerichtsakte I. Rechtsgang - FG-A I - Bl. 185). Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass nur die Gagenzahlungen der Abzugsteuer unterworfen worden waren, nicht dagegen die von der Klägerin übernommenen Kosten für Hotelübernachtungen und Catering sowie die bar ausgezahlten Cateringpauschalen.

Daraufhin erließ der Beklagte und Erinnerungsgegner (das Finanzamt - FA -) am 21. November 2001 einen Haftungsbescheid, mit dem er die Klägerin für die in einer Anlage zu dem Bescheid bezeichneten "Abgabenschulden aus dem Steuerabzugsverfahren nach § 50a Abs. 4 EStG" in Höhe von 87.259,06 DM in Anspruch nahm (FG-A I Bl. 190).

II.

1. Vor dem 20. Dezember 2001 beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten, mit dem sie bereits seit Anfang der neunziger Jahre zusammenarbeitet, mit ihrer außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung betreffend den oben genannten Haftungsbescheid (FG-A I Bl. 190; Finanzgerichtsakte II. Rechtsgang - FG-A II - Bl. 4).

Der Prozessbevollmächtigte ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater und tritt in seiner Außendarstellung als Spezialist für die rechtliche Vertretung von Künstlern, Agenturen und ähnlichen Mandanten im Hinblick auf die Künstlerabzugsbesteuerung nach § 50a EStG auf (Parallelverfahren 3 KO 208/11, FG-A II Bl. 198; www...).

  1. Vor Mandatserteilung in der derzeitigen Sache vertrat der auswärtige Prozessbevollmächtigte, wie senatsübergreifend gerichtsbekannt ist, wie kein anderer über viele Jahre Beteiligte in Verfahren zu § 50a EStG. Allein vor dem erkennenden Finanzgericht (FG) hatte er im Zeitraum von 1988 bis 2001 Beteiligte in 8 Prozessen zur Künstlerabzugsbesteuerung vertreten. Zwischen 2001 und heute führte er vor dem erkennenden FG weitere 17 solcher Prozesse, davon 15 für die Klägerin dieses Verfahrens.
  2. Darüber hinaus vertrat der Prozessbevollmächtigte die Klägerin und andere Beteiligte in Rechtsstreitigkeiten betreffend § 50a EStG auch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), insbesondere mit den für die Rechtsprechung zu § 50a EStG richtungsweisenden Entscheidungen BFH vom 13. August 1997 I B 30/97 (BFHE 184, 92; BStBl II 1997, 700; mit Anm. Grams, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1998, 24; vorgehend FG Hamburg vom 17. Januar 1997 II 97/96, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1997, 593, 621; Internationales Steuerrecht - IStR - 1997 mit Anm. Grams), EuGH vom 12. Juni 2003 Rs. C-234/01 "Gerritse" (BStBl II 2003, 859), EuGH vom 3. Oktober 2006 Rs. C-290/04 "Scorpio" (IStR 2006, 743) und BFH vom 24. April 2007 I R 39/04 (BFHE 218, 89; BStBl II 2008, 95 mit Anm. Grams IStR 2004, 586; vorgehend FG Hamburg vom 26. Juli 2001 II 377/00, EFG 2001, 1553, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst - DStRE - 2002, 90).
  3. Neben seiner Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter publiziert er umfassend zum Thema "Künstlerabzugsbesteuerung"; für den Zeitraum seit 1997 erscheint er in juristische Datenbanken wie kein anderer als Autor von mindestens ... Veröffentlichungen mit direktem Bezug zu § 50a EStG (Parallelverfahren 3 KO 208/11, FG-A II Bl. 133 ff., 205 ff....

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