Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Zoll im Falle der Entziehung einer Ware in vorübergehender Verwahrung
Leitsatz (amtlich)
1. Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung, hier: Entziehung aus der vorübergehenden Verwahrung.
2. Erlass nach Art. 239 Zollkodex.
3. Art. 900 Abs. 1 lit. b) ZK-DVO betrifft nur Fälle der Entziehung aus einem Zollverfahren. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf Fälle, in denen sich eine Ware - wie dies bei der vorübergehenden Verwahrung der Fall ist - zwar unter zollamtlicher Überwachung, nicht jedoch in einem Zollverfahren befindet, kommt nicht in Betracht.
4. Zum Vorliegen eines besonderen Falles und der offensichtlichen Fahrlässigkeit i. S. v. Art. 239 Abs. 1, 2. Beistrich ZK i. V. m. Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO.
Normenkette
ZK Art. 239, 203; ZKDV Art. 899-900, 900 Abs. 1 lit. b, Art. 905
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass von Einfuhrabgaben.
Die Klägerin stellt Kraftfahrzeuge her und vertreibt diese weltweit. Am 10. und 11.04.2005 ließ sie insgesamt 1.012 Kraftfahrzeuge mit zwei Schiffen von Finnland nach A befördern und durch die B AG (B) gestellen. 12 Kraftfahrzeuge verblieben zunächst in A und wurden im Eisenbahnversandverfahren ordnungsgemäß in die Ukraine ausgeführt. Für 594 Kraftfahrzeuge waren Versandpapiere T2L der finnischen Zollbehörden ausgestellt und vorgelegt worden, mit denen die Kraftfahrzeuge per Bahn über Polen in die Ukraine befördert werden sollten. In der Annahme, es handele sich dabei um alle nach A beförderten Kraftfahrzeuge, und aufgrund der vorgelegten Nachweise über den Gemeinschaftsstatus wurden die 1.012 Kraftfahrzeuge zollrechtlich nicht weiter behandelt. Die polnischen Zollbehörden verweigerten die Ausfuhr der 594 Kraftfahrzeuge in die Ukraine, weil sie in Bezug auf den zollrechtlichen Status Unstimmigkeiten festgestellt hatten. In der Folge legte die B dem Zollamt A die Frachtpapiere vor, aus denen sich ergab, dass insgesamt 1.012 Kraftfahrzeuge befördert worden waren, die mit der Bahn nach Polen weiterbefördert worden waren. Mit Schreiben vom 15.12.2005 bestätigten die finnischen Zollbehörden, dass es sich bei den 594 Kraftfahrzeugen um Gemeinschaftswaren gehandelt habe. Daraus schloss der Beklagte, dass die verbleibenden 406 Kraftfahrzeuge als Nichtgemeinschaftswaren durch den Abtransport vom Betriebsgelände der B ohne vorherige Eröffnung eines externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens der zollamtlichen Überwachung gemäß Art. 203 Zollkodex entzogen worden seien.
In der Folge bat die Klägerin darum, für die 406 Kraftfahrzeuge nachträglich den T1-Status auf den Eisenbahnfrachtbriefen zu bescheinigen und einen entsprechenden Versandschein auszustellen. Dies lehnte der Beklagte ab. Aus einem Vermerk des Beklagten vom 09.05.2005 (Sachakte im Verfahren 4 K 159/08) ergibt sich, dass die Klägerin dargelegt hat, dass sich alle 1.012 Fahrzeuge vor der Beförderung in einem Zolllager in Finnland befunden hätten.
Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28.02.2007 nahm der Beklagte die Klägerin im Hinblick auf die 406 Kraftfahrzeuge wegen Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 1.590.979,69 € gemäß Art. 203 Zollkodex in Anspruch. Die Inanspruchnahme erfolgte gesamtschuldnerisch mit der B und der Firma C (einem von der Klägerin mit der Abwicklung betrauten Dienstleister, C). Den dagegen von der Klägerin mit Schreiben vom 22.03.2007 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 31.01.2008 zurück. Das von der Klägerin eingeleitete Klageverfahren (4 K 159/08) ruht gemäß Beschluss vom 30.03.2009 bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Erlassantrag.
In Ihrem Einspruch vom 22.03.2007 hatte die Klägerin zugleich einen Antrag auf Erlass der Einfuhrabgaben gestellt.
Mit Bescheid vom 26.10.2010 wies der Beklagte diesen Erlassantrag zurück. Es sei davon auszugehen, dass die streitigen 406 Kraftfahrzeuge bei der Ankunft per Seeschiff in A als erstmals verbrachte Nichtgemeinschaftswaren zu behandeln gewesen seien, da der erforderliche Statusnachweis - wie die T2L für die 594 Kraftfahrzeuge - nicht vorgelegt worden sei. Die 406 Kraftfahrzeuge seien ordnungsgemäß gestellt worden und damit gemäß Art. 50 Zollkodex kraft Gesetzes in die vorübergehende Verwahrung übergegangen. Dass die Kraftfahrzeuge, wie die Klägerin vorgetragen habe, bereits in Finnland durch Entfernung aus dem Zolllager der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien, habe sie nicht nachgewiesen, so dass ein Erlass nach Art. 236 Zollkodex nicht in Betracht komme. Auch die Voraussetzungen eines Erlasses nach Art. 239 Zollkodex lägen nicht vor.
Am 22.11.2010 legte die Klägerin dagegen Einspruch ein. Es sei bereits keine Zollschuld entstanden, weil die Zollbehörden spätestens durch Vorlage der Ausfuhrnachweise ständig hätten feststellen können, an welchem Ort sich die Ware befunden habe. Daher habe durchweg die Möglichkeit der zollamtlichen Prüfung bestanden. Sie sei auch nicht Zollschuldnerin gemäß Art. 203 Abs. 3 Anstrich 2 Zollkodex geworden. Zudem sei bereit...