Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Einfuhrabgaben: Zum Begriff des "besonderen Falls" i. S. von Art 899 ZK-DVO
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen eines besonderen Falls i. S. v. Art. 239 Abs. 1 Zollkodex i. V. m. Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO
Normenkette
ZK Art. 239 Abs. 1; ZKDV Art. 899 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass von Einfuhrabgaben.
Die Klägerin war Hauptverpflichtete eines am 20.08.2009 eröffneten Versandverfahrens T 1 (...). Ausweislich des Versandscheins sollten im Versandverfahren 413 Kartons Sweater von einem Versender in China zu einem Empfänger in Rumänien befördert werden. Abgangsstelle und Bestimmungszollstelle war das Zollamt Hamburg-1. Die Gestellungsfrist lief bis zum 21.08.2009. Ausweislich der Handelsrechnung Nr. XXX vom 21.07.2009 handelte es sich um insgesamt 23.871 Sweater zu einem Stückpreis von 0,20 US-Dollar. Die Ware wurde mit Zollverschluss gesichert.
Tatsächlich wurde die Ware jedoch unstreitig nicht beim Zollamt Hamburg-1 wiedergestellt.
Nachdem der Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass die Beendigung des Versandverfahrens (T 1 ...) nicht nachgewiesen worden sei und ihr ergebnislos Gelegenheit gegeben hatte, weitere Nachweise für die Beendigung des Versandverfahrens zu erbringen, erhob er mit bestandskräftigem Einfuhrabgabenbescheid vom 04.01.2010 im Hinblick auf die hier streitigen 413 Kartons Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 1.119,62 €, da diese nicht bei der Bestimmungszollstelle gestellt und daher der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien.
Der Beklagte zweifelte gegenüber der Klägerin gem. Art. 181 a ZK DVO die Rechnung an, ohne dass die Klägerin zunächst weitere Belege für die Richtigkeit des angegebenen Zollwerts beigebracht hätte. Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 28.05.2010 erhob der Beklagte daraufhin Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 22.713,19 € (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) nach. Dabei ging er von einem Warenwert in Höhe von 2,10 € je Sweater aus. Insoweit bezog er sich auf den sich aus dem System ATLAS ergebenden Durchschnittswert für entsprechende Waren aus China (Importdaten). Der Einfuhrabgabenbescheid ist bestandskräftig geworden. Die Klägerin entrichtete die Einfuhrabgaben.
Mit Antrag vom 04.02.2011 begehrte die Klägerin die Erstattung der Einfuhrabgaben. Dabei wies sie darauf hin, Opfer ihr nicht zuzurechnender betrügerischer Handlungen geworden zu sein. Da sie selbst keinen Einfluss auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Versandverfahrens gehabt habe, habe sie sich in einer außergewöhnlichen Lage befunden. Sie habe lediglich die Aufgabe gehabt, T1-Dokumente zu erstellen, die sie von der Firma A erhalten habe. Den Transport habe sie weder organisiert noch durchgeführt. Die Firma A sei ihr gegenüber verpflichtet gewesen, die T1 ordnungsgemäß zu erledigen. Darauf, dass dies geschehen würde, habe sie vertraut. Die Firma A habe sie auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Abgabenerhebung stehe auch der Wirtschaftsgedanke des Zollrechts entgegen.
Mit Bescheid vom 01.02.2013 lehnte der Beklagte die Erstattung der Einfuhrabgaben ab. Zur Begründung führte er aus, die Nichterledigung eines Versandverfahrens und die Entstehung der Zollschuld sein typisches Risiko eines Hauptverpflichteten.
Am 28.02.2013 legte die Klägerin Einspruch ein. Sie betonte unter Wiederholung der Antragsbegründung im Übrigen, besondere Umstände hätten vorgelegen, weil sie keinen Einfluss auf die Wahl des Transportunternehmens gehabt habe und daher nicht durch organisatorische Vorkehrungen Einfluss auf die Transportabwicklung hätte nehmen können. Sie treffe kein Verschulden.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2013 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass allein ein Erlass nach Art. 239 Zollkodex in Betracht komme. Einer der Fälle des Art. 900 ZK-DVO liege nicht vor. Insbesondere handele es sich nicht um einen Fall nach Art. 900 Abs. 1 a) ZK-DVO, da nicht nachgewiesen worden sei, dass die Waren aus dem Versandverfahren gestohlen worden seien. Ebenso wenig handele es sich um einen Fall nach Art. 900 Abs. 1 e) ZK-DVO, da die Ware weder irrtümlich unter vollständiger Befreiung von den Einfuhrabgaben zum freien Verkehr abgefertigt worden sei, noch die Voraussetzungen für eine abgabenfreie Wiedereinfuhr erfüllt seien. Die von der Klägerin behauptete Doppelbesteuerung wäre nicht in einem Erstattungsverfahren nach Art. 239 Zollkodex zu klären. Besondere Umstände im Sinne von Art. 239 Zollkodex lägen nicht vor. Es handele sich um eine Situation, die eine unbestimmte Zahl von Wirtschaftsteilnehmern treffen könne, die die Verantwortung eines Hauptverpflichteten übernommen hätten. Hauptverpflichtete nach Art. 96 Abs. 1 Zollkodex übernähmen regelmäßig eine Verpflichtung, die sie selbst nicht erfüllen könnten, weil der Transport regelmäßig durch den Auftraggeber für das Versandverfahren organisiert und durch Dritte durchgeführt werde. Der Hauptverpflichtete hafte auch, wenn er Opfer betrügerischer Machenschaften werde. Er müss...