Entscheidungsstichwort (Thema)
Übermittlung falscher Anhänge zu fristwahrenden Schriftsätzen über das beA - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Werden fristwahrende Schriftsätze elektronisch über das besondere Anwaltspostfach übermittelt, so erfordert eine wirksame Kontrolle Maßnahmen, die hinreichend sicherstellen, dass die richtigen Dokumente dem richtigen (= zuständigen) Gericht übermittelt werden.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1-2; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer.
Am 29.08.2017 wurde der auf den Kläger in Polen zugelassene PKW VW Sharan mit dem polnischen Kennzeichen XX von der Polizei im X-Weg in Höhe der Hausnummer ... am rechten Fahrbahnrand vorgefunden. Das beklagte Hauptzollamt ging von einer widerrechtlichen inländischen Nutzung des Fahrzeugs nach § 1 Abs. 3 Kraftfahrzeugsteuergesetz - KraftStG - aus und setzte mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 27.01.2018 Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von insgesamt ... Euro fest.
Den gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 gerichteten Einspruch des Klägers wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 zurück; die Einspruchsentscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.11.2019 zugestellt worden.
Am 16.12.2019 - 13.12 Uhr - ist beim Finanzgericht Hamburg über das elektronische Postfach ein Eingang des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen mit dem Betreff "A ./. Hauptzollamt", dem als Anlage eine Klage des B gegen die Familienkasse beigefügt war. Über diesen Sachverhalt ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers vom Gericht am Morgen des folgenden Tages - 17.12.2019, 07.45 Uhr - unterrichtet worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin dem Gericht mit Schreiben vom 17.12.2019 - Eingang 11.15 Uhr - mitgeteilt, dass der Vorgang B für das Sächsische Finanzgericht bestimmt gewesen sei. Als Anlage hätte das Finanzgericht Hamburg die Klage nebst Anlagen von Herrn A erhalten sollen. Durch ein Büroversehen seien leider die falschen Anhänge beigefügt worden. Die Klage von Herrn A nebst Anlagen seien diesem Schreiben beigefügt.
Nachdem das beklagte Hauptzollamt mit Schriftsatz vom 19.12.2019, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 27.12.2019 zugeleitet worden ist, unter Hinweis auf die Zustellungsurkunde Zweifel an der Einhaltung der Klagefrist geäußert hatte, hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28.01.2020 die Klage näher begründet, ohne sich allerdings zur Wahrung der Klagefrist zu äußern. Erst mit Schriftsatz vom 06.03.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, nachdem das beklagte Hauptzollamt mit Schriftsatz vom 11.02.2020 erneut auf die Versäumung der Klagefrist hingewiesen hatte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und insoweit vorgebracht: Am 16.12.2019 seien fristgerecht per beA ein Schriftsatz und Anlagen an das Gericht zur Sache A übermittelt worden. Durch ein Büroversehen eines sonst sehr zuverlässigen Mitarbeiters seien die falschen Anhänge aus einem anderen Verfahren eines anderen Mandanten beigefügt worden. Auf dieses Versehen sei er - der Prozessbevollmächtigte des Klägers - am 17.12.2019 hingewiesen worden. Noch am 17.12.2019 seien dann per beA die richtigen Dateien mit Schriftsatz und Anlagen sowie dem Hinweis auf das Büroversehen an das Gericht übermittelt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 20.06.2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 aufzuheben.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es meint, die Klage sei bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist unzulässig.
Die Klage ist unzulässig. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt (hierzu unter 1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, da der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten (hierzu unter 2.).
1. Der Kläger hat die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO, wonach die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat beträgt, versäumt.
Die Einspruchsentscheidung vom 14.11.2019 ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - am 16.11.2019 per Zustellungsurkunde zugestellt worden. Die einmonatige Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO lief folglich - wovon die Beteiligten ebenfalls übereinstimmend ausgehen - am 16.12.2019 ab; innerhalb dieser Frist ist bei Gericht keine Klage des Klägers eingegangen.
Das Gericht übersieht nicht, dass am 16.12.2019 bei Gericht über das elektronische Postfach ein Eingang des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem Betreff "A ./. Hauptzollamt...