Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung des HZA an die Beurteilung der Voraussetzungen zur Erteilung einer Einfuhrlizenz durch die BLE. Rechtsmissbrauch bei Übertragungen von Rechten aus Einfuhrlizenzen. Vertrauensschutz. aktiver Irrtum der Zollbehörden. langjährige Praxis
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Bescheid über die Erteilung einer Einfuhrlizenz durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) ist ein anderer Verwaltungsakt, der aufgrund gesetzlicher Regelung für das HZA im HInblick auf die Frage bindend ist, ob die Voraussetzungen zur Erteilung einer Lizenz für die Einfuhr von (hier) Champignonkonserven vorgelegen haben. Über deren Widerruf bzw. Rücknahme ist durch die BLE nach § 48 VwVfG zu entscheiden.
2. Einfuhrgeschäfte können als Rechtsmissbrauch gewertet werden, wenn sie künstlich mit dem wesentlichen Ziel herbeigeführt werden, in den Genuss des Vorzugstarifs (hier: ermäßigter Kontingentszollsatz) zu gelangen. Die Frage des Rechtsmissbrauchs ist von dem jeweils zuständigen HZA auch im Rahmen der Nacherhebung nach Art. 220 Abs. 1 ZK zu prüfen.
3. Geschäfte, die darauf abzielen, einem Einführer über die eigene ihm zustehende Lizenzmenge hinaus zusätzliche zollbegünstigte Champignonkonserven zu verschaffen, sind rechtsmissbräuchlich.
4. Das in der EuGH-Rechtsprechung angesprochene Geschäftsrisiko bei der Beurteilung eines Rechtsmissbrauchs reduziert sich im Wesentlichen auf das Absatz- und Beschaffungsrisiko. Vertragliche oder gesetzliche Haftungsrisiken spielen nur eine untergeordnete Rolle, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, wer bei den streitgegenständlichen Einfuhren das lebensmittelrechtliche Risiko für die Inanspruchnahmen nach dem Produkthaftungsgesetz zu tragen hatte.
5. Ein aktiver Irrtum der Zollbehörde kann sich auch daraus ergeben, dass das BMF aufgrund eines Einzelfalls eine bestimmte Art von Geschäften (hier: Verkauf und Rückkauf von Lizenzen zum selben Preis) durch einen Erlass an alle nachgeordneten Behörden abschließend behandelt und sich daraus eine langjährige Praxis der Zollverwaltung ergibt, auf die sich der Zollschuldner verlassen hat.
Normenkette
ZK Art. 220 Abs. 1, 2 Buchst. b; EWGV 2913/92 Art. 220 Abs. 1, 2 Buchst. b; AO § 171 Abs. 10; VwVfG § 48
Tenor
1. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 27. Oktober 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2016 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob das Hauptzollamt (HZA) zu Recht Zoll in Höhe von … EUR nacherhoben hat.
Die XY & Co. (GmbH & Co.) KG (nachfolgend: XY) beantragte am 27. Dezember 2011 als Bevollmächtigte der Klägerin bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) die Erteilung einer Einfuhrlizenz für Champignonkonserven als traditioneller Einführer im Rahmen des Zollkontingents 09.4157. Nach der Vollmacht war XY u.a. bevollmächtigt, für die Klägerin alle erforderlichen Einfuhrlizenzen zu beantragen, Barsicherheiten und Kautionen zu hinterlegen bzw. diese zurückzufordern und entgegenzunehmen. Die BLE erteilte der Klägerin am 25. Januar 2012 eine Einfuhrlizenz (AGRIM DE Nr. A 638720) für 68.050 kg Champignonkonserven des KN-Codes 2003 1030, die sie an XY übersandte, die die hierfür geforderte Sicherheit mittels einer Globalbürgschaft leistete.
XY hat im Jahr 2012 von verschiedenen chinesischen Lieferanten Champignonkonserven (Warennummer: 2003 1030 000) erworben, die anschließend in die EU/nach Deutschland eingeführt und in das Zolllager der U. GmbH in H. verbracht worden sind. Unter anderem verkaufte XY am 2. November 2012 sechs Sendungen mit insgesamt 27.851 Kartons Konserven aus dem Zolllager an die Klägerin zum Preis von … EUR (netto, ab Lager H., unverzollt).
Die Klägerin, vertreten durch XY, meldete am 6. und 8. November 2012 sechs Sendungen mit Champignonkonserven aus dem Zolllager beim Zollamt H. zur Überführung in den freien Verkehr an und beantragte unter Vorlage der Einfuhrlizenz jeweils die Abfertigung zum Zollkontingent 4157. Als Zollwert wurde der Preis des chinesischen Verkäufers an XY angemeldet, Zollwertanmelder war ebenfalls XY.
Das Zollamt fertigte alle Sendungen wie angemeldet ab und setzte mit den Einfuhrabgabenbescheiden vom 6. bzw. 8. November 2012 hierfür … EUR Zoll (ermäßigter Kontingentszollsatz von 23 %) sowie 19 % Einfuhrumsatzsteuer fest. Die Abgaben wurden auf die Aufschubkonten (Zoll und EUSt) von XY verbucht, die mit Rechnung Nr. 13665 vom 12. November 2012 die festgesetzten Abgaben von der Klägerin anforderte.
Die Einfuhrlizenz der Klägerin wurde nur für diese sechs Abfertigungen verwendet. Weitere Abfertigungen sind in der Lizenz nicht eingetragen.
Das HZA stellte im Rahmen einer Prüfung im Jahr 2015 fest, dass die Klägerin die 27.851...