Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen des groben Verschuldens im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Leitsatz (amtlich)
Ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen an dem nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt dann nicht vor, wenn die Finanzbehörde mittels von ihr bereit gestellter elektronischer Steuerprogramme (Elster-Formular 2006/2007) Eingabearbeiten auf den Steuerpflichtigen verlagert und diesem bei der Erfassung der Steuererklärungsdaten ein Eingabefehler unterläuft, der sich innerhalb der Einspruchsfrist nicht aufgedrängt hat und der die Finanzbehörde wegen einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit gemäß § 129 AO zur Berichtigung berechtigt hätte
Normenkette
EStG § 173 Abs. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 2006 zugunsten der Kläger geändert werden kann.
Der Kläger ist Diplom-Finanzwirt (FH) und Notar, die Klägerin ist Buchhalterin und Hausfrau. Als Eheleute werden sie mit Einkünften aus selbständiger Arbeit, nichtselbständiger Arbeit und Kapitalvermögen zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 haben die Kläger mit Hilfe des elektronischen Steuerprogramms ElsterFormular 2006/2007 an den Beklagten übermittelt und eine sog. komprimierte (verkürzte) Steuererklärung in Papierform unterschrieben nachgereicht. In dem elektronischen Erklärungsformular hatten die Kläger in Zeile 62 des Mantelbogens, in der nach Beiträgen zu berufständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern gefragt ist, Zahlungen des Klägers an die Notarversorgungskasse nicht eingetragen. Im Veranlagungsjahr 2005 haben sie diesen Posten in entsprechender Höhe korrekt geltend gemacht (vor Bl. 1 Einkommensteuerakte - EStA -). Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2006 mit Bescheid vom 25. Juli 2008 fest (Bl. 26 ff. EStA). Zahlungen an die Notarversorgungskasse wurden entsprechend der Erklärung nicht berücksichtigt. Aus den Erläuterungen zum Bescheid ergibt sich, dass für die Veranlagung des Jahres 2006 die Günstigerprüfung ergeben habe, dass die Ermittlung der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach der Rechtslage 2004 zu einem günstigeren Ergebnis führe (Bl. 27 unten EStA). Mit Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2007, baten die Kläger den Beklagten in einem Schreiben vom 21. Februar 2009, den Einkommensteuerbescheid 2006 abzuändern, da ihnen bei Erstellung der Steuererklärung 2007 aufgefallen sei, dass für das Vorjahr Zahlungen des Klägers an die Notarversorgungskasse in Höhe von 18.457 € irrtümlich nicht in Zeile 62 des Hauptvordrucks eingetragen worden seien (Bl. 29 EStA). Der Beklagte lehnte dies ab (Bl. 30 f EStA). Mit Schreiben vom 22. April 2009 beantragten die Kläger die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides 2006 (Bl. 32 EStA). Der Kläger habe vergessen, die Zahlungen an die Notarversorgungskasse im Mantelbogen einzutragen. In den Vorjahren und im Jahr 2007 seien diese stets erfasst worden. In Betracht käme eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (- AO -). Mit Bescheid vom 29. April 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da den Kläger ein grobes Verschulden daran treffe, dass die Geltendmachung der Zahlungen bei der ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung unterblieben sei (Bl. 34 f EStA). Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger das Steuererklärungsformular und die beigefügten Erläuterungen nicht mit der zu erwartenden Sorgfalt gelesen habe.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 29. April 2009 haben die Kläger Einspruch eingelegt, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2009 als unbegründet zurück gewiesen hat. Zu den Begründungen im Einzelnen wird auf das Einspruchsschreiben (Bl. 36 f EStA) und die Einspruchsentscheidung (Bl. 41 ff EStA) verwiesen.
Mit der dagegen bei Gericht erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung beziehen sie sich im Wesentlichen auf ihren Änderungsantrag vom 22. April 2009 (Bl. 32 f EStA) und ihr Einspruchsschreiben vom 12. Mai 2009 (Bl. 36 f EStA). Darüber hinaus tragen sie vor, dass ihrerseits wohl ein Verschulden, aber gleichwohl kein grobes Verschulden vorliege. Bei der Vielzahl der Formulare und auszufüllenden Zeilen, insbesondere auch im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen und ausländischen Einkünfte, sei es kein grobes Verschulden, wenn man das Ausfüllen einer einzigen Zeile übersehe; dies dürfte ein Fehler sein, der von vielen gemacht werde. Der Posten fände sich seit 1998 in jeder Steuererklärung, nur 2006 hätten sie beim Übertrag der handschriftlichen Notizen des Klägers vergessen, diesen einzutippen. Im Übrigen legten sie große Sorgfalt auf die Steuererklärung und Buchhaltung; ihre Erklärungen seien seit Jahren fast fehlerfrei. Das fiele auch ihm, dem Kläger, als Diplom-Finanz...