I. Die Leitsätze
Ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst nicht die bis zu seiner Zustellung fiktiv aufgelaufenen Lohn- und Gehaltsrückstände. (BAG v. 12.3.2008 – 10 AZR 148/07 und BAG v. 23.4.2008 – 10 AZR 168/07).
Die Regelung in § 850h Abs. 2 S. 2 ZPO, wonach bei der Prüfung, ob der Schuldner einem Dritten in einem ständigen Verhältnis Arbeiten oder Dienste gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung leistet, auf alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art der Arbeits- und Dienstleistung, die verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Dienstberechtigten und dem Dienstverpflichteten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Dienstberechtigten Rücksicht zu nehmen ist, erfordert eine fallbezogene Beurteilung und schließt die fallübergreifende Annahme aus, eine Vergütung sei immer dann nicht unverhältnismäßig gering, wenn sie mehr als 75 % der üblichen Vergütung beträgt. (BAG v. 22.10.2008 – 10 AZR 703/07).
II. Die Grundsituation
Gehalt wird Pfändungsfreigrenze angepasst
Gerät der Schuldner in eine wirtschaftliche Krise und sieht sich der Pfändung seines Arbeitseinkommens in der Einzelzwangsvollstreckung oder der Insolvenz ausgesetzt, wird nicht selten im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber (Drittschuldner) versucht, das offiziell erzielte Einkommen der Pfändungsfreigrenze anzupassen. Der Schuldner verdient also offiziell nur noch so viel, wie ihm pfändungsfrei verbleibt. Der ihm eigentlich für seine Arbeit zustehende höhere Vergütungsanteil wird dann schwarz ausgezahlt oder auf eine dritte Person verschoben. Diese Konstellation ist insbesondere dann anzutreffen, wenn der Arbeitgeber eine dem Schuldner nahestehende Person ist.
III. So kann der Gläubiger dem entgegenwirken
Das können Sie dagegen tun
Um einer solchen Lohnverschleierung oder Lohnverschiebung entgegenzuwirken, stellt der Gesetzgeber dem Gläubiger § 850h ZPO zur Verfügung:
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Zahlt der Arbeitgeber den höheren Lohnanteil nicht dem Schuldner, sondern einem Dritten aus, so liegt ein Fall der Lohnverschiebung nach § 850h Abs. 1 ZPO vor. In diesem Fall erfasst der PfÜB auch die Leistung an den Dritten. Der Pfändungsfreibetrag und damit auch der pfändbare Betrag sind aus den zusammengerechneten Leistungen an den Schuldner und den Dritten zu berechnen. |
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Leistet der Schuldner dagegen seine Dienste, die üblicherweise vergütet werden, unentgeltlich oder gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung, so ist die angemessene Vergütung zu bestimmen. Hieraus, d.h. aus dem fiktiven Arbeitseinkommen, sind dann nach § 850h Abs. 2 ZPO die Pfändungsfreibeträge sowie die pfändbaren Beträge zu bestimmen. |
Regelmäßig wird der Drittschuldner sich auf die tatsächlich richtige Abrechnungsweise nicht freiwillig einlassen. Es ist dann Einziehungsklage zu erheben (hierzu Neugebauer, Fovo 2008, 131 ff.).
IV. Das müssen Sie aus den BAG-Entscheidungen für die Praxis beachten
Solche Einziehungsklagen lagen auch den zwei eingangs zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes zugrunde.
BAG: Pfändung ohne Rückwirkung
Aus der ersten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 12.3.2008 muss der Gläubiger die Konsequenz ziehen, sehr schnell zu handeln. Der Schuldner hat – auch nicht fiktiv – keinen rückwirkenden Anspruch auf die verschobenen oder verschleierten Lohnbestandteile. Insoweit hat er mit dem Drittschuldner zusammengewirkt und die Leistung entweder tatsächlich "auf Umwegen" erhalten oder hierauf verzichtet. § 850h ZPO postuliert insoweit einen allein fiktiven Anspruch des Gläubigers. Damit scheidet aber eine Rückwirkung auf die Zeit vor der Pfändung der Forderung, die nach § 829 Abs. 3 ZPO mit der Zustellung des PfÜB an den Drittschuldner als bewirkt gilt, aus (a.A. Stein/Jonas-Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850h Rn 35; Uhlenbruck, in: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 35 Rn 58; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 850h Rn 10).
Dies hat über § 36 Abs. 1 S. 2 InsO auch Auswirkungen in der Insolvenz. Der Anspruch auf das verschobene oder verschleierte Arbeitseinkommen steht dann nämlich allein der Masse zu. Auf Umstände im Sinne des § 850h ZPO sollte der Gläubiger deshalb den Insolvenzverwalter immer hinweisen, wenn dieser nicht schon von sich aus tätig geworden ist. Dies gilt im Übrigen nach § 292 Abs. 1 S. 3 InsO auch im Restschuldbefreiungsverfahren!
Das müssen Sie sofort tun!
Der Gläubiger muss also so frühzeitig wie möglich das Arbeitseinkommen pfänden. Dies setzt wiederum voraus, dass er frühzeitig Informationen über den Arbeitgeber des Schuldners sammelt. Dies kann geschehen, indem
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der Gläubiger oder sein Vertreter an der Mobiliarzwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher teilnimmt und dessen Frageobliegenheit nach § 806a ZPO ausdrücklich aktiviert, |
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er selbst recherchiert, etwa durch einen Anruf bei Haushaltsangehörigen oder Nachbarn oder auch durch eine Internetrecherche, |
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er in Ratenzahlungsvereinbarungen, Schuldanerkenntnissen oder anderen Vereinbarungen die Einzugsstelle der Sozialversicherungsträger durch den Schuldner von ihrer Schweigepflicht entbinden lässt und dort nach dem Arbeitgeber fragt, |
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er ein Vermögensverzeichnis aus einem Offenbarungsverfahren ... |