Der erste Fehler: Der Mandant tituliert selbst
Es ist geradezu ein Klassiker, dass der Mandant meint, das gerichtliche Mahnverfahren zeige keine Schwierigkeiten. Aus diesem Grunde sei es für ihn sinnvoll, das Liquiditätsrisiko bezüglich des Schuldners dadurch abzumildern, dass er die Titulierung selbst veranlasse. Der vorliegende Fall zeigt, dass eine Vielzahl von Fallen droht. Er zeigt zwei davon auf:
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Zunächst kann materiell-rechtlich diskutiert werden, wer bei der Beauftragung einer Leistung aus dem Spektrum der Gesundheitsvorsorge eines Minderjährigen Vertragspartner geworden ist. Vieles spricht dafür, dass nicht der Minderjährige, sondern die Eltern den Vertrag schließen und deshalb auch die Vergütung schulden (BGH, 12.5.2022 – III ZR 78/21). |
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Sodann ist ein Minderjähriger nicht prozessfähig, sodass er durch die Eltern als gesetzliche Vertreter vertreten wird, §§ 51 Abs. 1, 170 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 104 ff. BGB. Den Eltern gegenüber sind dann auch die entsprechenden Zustellungen zu veranlassen. Für die Wirksamkeit des Vollstreckungsbescheides muss dieser wirksam zugestellt sein, § 699 Abs. 4 ZPO. |
Es fehlt an einer wirksamen Zustellung
Im vorliegenden Fall fehlt es damit an einem wirksamen Vollstreckungsbescheid, weil dieser nur an die damals Minderjährige zugestellt wurde.
Hinweis
Die Unwirksamkeit der Zustellung kann aber dadurch geheilt werden, dass das zuzustellende Schriftstück dem gesetzlichen Vertreter tatsächlich zugeht (BGH NJW 2015, 1760).
Infolgedessen muss der Vollstreckungsbescheid erneut zugestellt werden. Solange die Minderjährigkeit andauert, ist an den gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen zuzustellen, danach an den inzwischen Volljährigen.
Wenn der BGH hilft, ohne zu helfen
Der BGH (NJW 2008, 2125; bestätigt durch BGH, 15.1.2024 – VIII ZR 100/13) hat zwar – wie von der Leserin schon gesehen – entschieden, dass die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine prozessunfähige Partei die Einspruchsfrist dann in Gang setzt, wenn aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar und dem Gläubiger auch nicht bekannt war, dass die Titelschuldnerin minderjährig ist. Eine rechtlich schützenswerte Rechtsposition kann allenfalls dann entstehen, wenn der Gläubiger Vertrauensschutz in Anspruch nehmen könnte.
Hinweis
Im konkreten Fall ist die Entscheidung damit schon nicht einschlägig, weil sich ja der Vater der minderjährigen Titelschuldnerin gemeldet hatte, d.h. der Umstand bekannt war. Im Übrigen kann dem Gläubiger aufgrund des Krankentransportes einer 13-Jährigen deren Minderjährigkeit kaum entgangen sein. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass die Auffassung durchaus kritisch gesehen wird (abl. AG Hamburg NJW-RR 1998, 791; Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 52 Rn 13; Jacoby, ZMR 2007, 327).
Auch der BGH sieht dann allerdings die Möglichkeit der prozessunfähigen Partei, mit der Nichtigkeitsklage vorzugehen (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Der Klage kann dann nicht entgegengehalten werden, die Partei hätte den Verfahrensmangel durch ein Rechtsmittel – den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid – geltend machen müssen (BGH a.a.O.). Vor diesem Hintergrund hilft auch die Sichtweise des BGH nicht wirklich weiter.
Erhebliches Prozessrisiko
Die unwirksame Zustellung war nach der hier vertretenen Auffassung also schon nicht geeignet, um die Einspruchsfrist in Gang zu setzen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Vollstreckungsbescheid (erneut) zugestellt werden muss und erst ab dann die Einspruchsfrist zu laufen beginnt. Natürlich muss die Schuldnerin oder der Schuldner keinen Einspruch einlegen. Erfolgt dies aber, liegt hierin ein ganz erhebliches weiteres Risiko:
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Mit dem Einspruch erfolgt sofort die Abgabe an das Streitgericht, sodass die höheren Gerichtskosten anfallen (3,0-Gerichtsgebühr nach Nr. 1210 statt der 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 1100 KV GKG). |
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Die Schuldnerin kann nun geltend machen, dass die Forderung verjährt ist, weil auch der Mahnbescheid nicht wirksam zugestellt wurde und nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur die wirksame Zustellung des Mahnbescheides die Verjährung hemmt. |
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In der Sache eingewandt werden kann, dass nicht die zum Vertragsabschlusszeitpunkt erst 13-jährige Titelschuldnerin den Krankentransport- und Behandlungsvertrag geschlossen hat, sondern deren Eltern. |
Das Prozessrisiko ist nicht kleiner, wenn man mit dem BGH von einer (fiktiv) wirksamen Zustellung ausgeht. In diesem Fall muss zunächst der Gerichtsvollzieher über die Erinnerung nach § 766 ZPO unter Verweis auf die BGH-Entscheidung gezwungen werden, die Vollstreckung zu beginnen. Wird die Schuldnerin dann angehört, ist sie hinreichend sensibilisiert, die Nichtigkeitsklage zu erheben, zumal die Einwendungen, die dann den Anspruch zu Fall bringen, offensichtlich zu Tage treten.
Fazit
Empfohlen werden kann deshalb nur, dem Gerichtsvollzieher den Auftrag zu erteilen, den Vollstreckungsbescheid erneut zuzustellen. Sollte dies zum Einspruch führen, sollte der Mahnantrag sofort zu...