I. Das Problem
Sachpfändung in der ehelichen Wohnung
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid. Wir wissen, dass der Schuldner auch als halbprofessioneller Musiker – Gitarrist – tätig ist und auf verschiedenen Festen auftritt. In der Vergangenheit haben wir dies aber immer erst zu spät erfahren, so dass wir uns von einer Forderungspfändung keinen Erfolg versprechen. Wir möchten jetzt auf seine wohl stattliche Sammlung an Gitarren in seiner Wohnung zugreifen. Steht dem entgegen, dass er dort mit seiner Ehefrau wohnt, gegen die wir keinen Vollstreckungstitel besitzen? Könnte sie die Pfändung verhindern? Wir wollen auf jeden Fall den Überraschungseffekt nutzen.
II. Die Lösung
Der Gerichtsvollzieher kann grundsätzlich die im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen pfänden. Da auf den Gewahrsam und damit auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt wird, kommt es zunächst nicht einmal darauf an, ob die Gitarren allesamt im Eigentum des Schuldners stehen.
Hinweis
Würde die Ehefrau also behaupten, die Gitarren seien ihr Eigentum, so bliebe dies unerheblich. Sie ist auf die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zu verweisen. Um das notwendige Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu erlangen, müsste sie dem Gläubiger gegenüber ihr Eigentum nachweisen und ihn zur Freigabe der Gitarren auffordern. Wenn sie einen solchen Nachweis erbringen würde, wäre zu prüfen, inwieweit sie die Gitarren vom Schuldner in anfechtbarer Weise erlangt hat, §§ 3 ff. AnfG.
Im Gewahrsam des Schuldners befinden sich alle Sachen, über die er tatsächliche Gewalt ausübt, mithin alle Gegenstände in seiner Wohnung, aber auch in einem separaten Keller oder einem Übungsraum.
Befinden sich die pfändbaren Gegenstände nicht allein im Gewahrsam des Schuldners, sondern zugleich im Mitgewahrsam eines Dritten, etwa eines volljährigen Kindes, eines Lebensgefährten oder sonstiger Mitbewohner, ist zu unterscheiden. Der Gesetzgeber möchte zunächst die schuldrechtlichen Verhältnisse zwischen diesen Personen und dem Schuldner unberührt lassen. Deshalb ordnet § 809 ZPO an, dass die Pfändung in diesen Fällen dem Gerichtsvollzieher nur gestattet ist, wenn der Dritte "herausgabebereit" ist, d.h. der Pfändung zustimmt.
Hinweis
Ob der Gewahrsamsinhaber zur Herausgabe bereit ist, hat der GV durch Befragen festzustellen. Die Bereitschaft des Dritten muss sich auf die Herausgabe zur Verwertung, nicht nur zur Pfändung erstrecken (BGH NJW-RR 2004, 352 [353]; RG HRR 27 Nr. 535). Sie kann formlos, ausdrücklich oder stillschweigend und als Genehmigung auch nach der Pfändung erklärt werden (Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 809 Rn 6). Die Erklärung ist als Prozesshandlung unwiderruflich und im Protokoll des Gerichtsvollziehers zu vermerken (§ 762 ZPO, § 88 GVGA).
Wird die Zustimmung verweigert, muss der Gläubiger nach §§ 846, 829 ZPO im Wege der Doppelpfändung einerseits durch den Herausgabeanspruch des Schuldners gegen den Dritten – etwa aus dem Leih-, Verwahrungs- oder Treuhandvertrag –, andererseits im Wege der wiederholten Sachpfändung auf die Sache zugreifen.
Hinweis
Wird die Pfändung ohne die erfolgte Zustimmung vorgenommen, ist sie nur anfechtbar, nicht aber nichtig. Zutreffender Rechtsbehelf für den Dritten ist die Erinnerung nach § 766 ZPO. Dem Schuldner steht kein Rechtsbehelf zu. Er ist insoweit nicht schützenswert.
Die Ausnahme von der Ausnahme: § 739 ZPO
Besteht der Mitgewahrsam mit dem Ehegatten des Schuldners, findet allerdings § 809 ZPO keine Anwendung. Hier gilt die spezielle Gewahrsamsvermutung des § 739 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 1362 BGB für den Ehegatten und des § 739 Abs. 2 ZPO für den – gleichgeschlechtlichen – Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Danach wird zugunsten des Gläubigers vermutet, dass alle Gegenstände im Gewahrsam der Ehegatten bzw. Lebenspartner im Alleingewahrsam des Schuldners stehen. Durch den fingierten Alleingewahrsam liegt der Fall des § 809 ZPO nicht vor. Der Gerichtsvollzieher kann und muss auch gegen den Willen des Ehegatten oder Lebenspartners pfänden.
Tipp
Hier muss der Rechtsanwalt oder Inkassodienstleister allerdings schon im Erkenntnisverfahren prüfen, ob der Ehegatte nicht auch als Schuldner in Betracht kommt. Als Verpflichtungsnorm kommt § 1357 BGB in Betracht, wenn die Vollstreckungsforderung aus einem Geschäft zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfes stammt. Auch könnte ein Fall der gleichzeitigen Vertretung des Ehepartners vorliegen, §§ 164 ff. BGB. In diesen Fällen steht sich der Gläubiger insgesamt weitaus günstiger. Tituliert der Gläubiger seine Forde rung im gerichtlichen Mahnverfahren gegenüber beiden Ehegatten, entstehen keine höheren Gerichtskosten. Erforderlich für die Anwendung von § 1357 BGB ist allerdings, dass die Ehegatten bzw. Lebenspartner nicht getrennt leben. Dafür ist die bloße Behauptung des Schuldners oder seines Ehegatten, man lebe getrennt, wiederum nicht ausreichend. Die Richtigkeit dieser Behauptung ist vielmehr anhand...