Leitsatz
1. Für die gemäß §§ 869, 793 ZPO befristeten Rechtsmittel in Zwangsversteigerungsverfahren ergibt sich unmittelbar aus der Verfassung das Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung.
2. Unterbleibt die Rechtsmittelbelehrung, steht dies weder der Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung noch dem Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist entgegen.
3. Ist der Belehrungsmangel für die Versäumung der Rechtsmittelfrist ursächlich, ist bei der Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlendes Verschulden des Rechtsmittelführers unwiderleglich zu vermuten.
BGH, 26.3.2009 – V ZB 174/08
1 I. Der Fall
Wiedereinsetzung wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung?
Der Schuldner hat im Zwangsversteigerungsverfahren verspätete Beschwerde erhoben und mit der Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt, dass ihm keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei. Der BGH ist dem gefolgt.
2 II. Die Entscheidung
ZPO und ZVG fordern keine Rechtsmittelbelehrung …
Weder das ZVG noch die auf die Verfahren nach diesem Gesetz gemäß § 869 ZPO anzuwendende ZPO sieht eine Rechtsmittelbelehrung vor. Ob sie trotzdem geboten und bei ihrem Fehlen der Weg für die Wiedereinsetzung eröffnet ist, hat der Senat im Beschluss vom 28.2.2008 (V ZB 107/07, NJW-RR 2008, 1084) noch offen gelassen. Die Frage ist zu bejahen. Das ergibt sich aus der Verfassung.
Das Grundgesetz gewährleistet durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, den Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf dabei einer normativen Ausgestaltung. In dieser kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren, insbesondere auch für Rechtsmittel, besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken (BVerfGE 93, 99, 107). Hierzu gehören Form- und Fristerfordernisse, durch die einer unangemessenen Dauer des Verfahrens entgegen gewirkt wird. Die insoweit notwendigen Regelungen müssen jedoch, was ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, die betroffenen Belange angemessen gewichten und in Bezug auf ihre Auswirkung auf den einzelnen Rechtsuchenden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Hierzu gehört eine Rechtsmittelbelehrung, wenn diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte. So verhält es sich, wenn die Erfordernisse eines Rechtsmittels so kompliziert und schwer zu erfassen sind, dass nicht erwartet werden kann, dass sich der Rechtsmittelsuchende in zumutbarer Weise hierüber rechtzeitig Aufklärung verschaffen können wird. Das gilt namentlich für Verfahren, in denen kein Anwaltszwang besteht (BVerfGE, a.a.O., 108). Das ist bei den Entscheidungen nach dem Zwangsversteigerungsgesetz, insbesondere bei der Entscheidung über den Zuschlag, der Fall.
Und das sind die Folgen
Unterbleibt die von Verfassungs wegen gebotene Rechtsmittelbelehrung, kommt dem Betroffenen – entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 44 Satz 2 StPO – die unwiderlegliche Vermutung zugute, dass ihn an der Versäumung der Rechtsmittelfrist kein Verschulden trifft, sofern der Belehrungsmangel für die Versäumung der Rechtsmittelfrist ursächlich geworden ist (BGH NJW-RR 2008, 1084, 1085). Für die Ursächlichkeit spricht bei einem nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten eine tatsächliche Vermutung.
3 III. Der Praxistipp
Schuldner gewinnt Zeit
Der BGH ist immer wieder einmal für eine Überraschung gut, die dem Gläubiger das Leben schwer macht. Zwangsversteigerungsverfahren sind schon ihrer Natur nach darauf angelegt, erhebliche Zeit in Anspruch zu nehmen. Der Zeitraum wird nicht selten durch den Schuldner verlängert, der jede Gelegenheit nutzt, durch Rechtsmittel eine weitere Verzögerung zu erreichen. Dies insbesondere dann, wenn er den zu versteigernden Grundbesitz noch selbst weiter nutzt. Auch wenn die Rechtsmittel unbegründet sind, vergeht so Zeit, da das Versteigerungsgericht nicht zuletzt wegen der versandten Akten im Versteigerungsverfahren nicht fortfährt.
Gerichtliche Fehler schaden allein dem Gläubiger
Die Entscheidung des BGH verlangt nun von den Gerichten, dass sie im Einzelfall beurteilen, ob auch noch eine Rechtsmittelbelehrung erforderlich ist. Das Problem des Gläubigers: Entscheidet das Gericht hier fehlerhaft, geht dies doch alleine zu seinen Lasten. Ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG wird sich daraus regelmäßig nicht herleiten lassen. Es liegt deshalb im wohl verstandenen Interesse des Gläubigers, dass er das Vollstreckungsgericht – allein beim anwaltlich nicht vertretenen Schuldner – darauf hinweist, dass alle Entscheidungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sind. Nur so kann er ausschließen, dass durch versäumte Rechtsmittelfristen und anschließende Wiedereinsetzungsverfahren noch mehr Zeit verloren geht, um die Verwertung des Grundbesitzes endlich zu erreichen. Der Gläubiger wird in den sauren Apfel beißen müssen. Andererseits wird er darauf zu achten haben, d...