Bewilligt das Gericht der ersten Instanz durch Beschluss eine Räumungsfrist, obwohl diese Bewilligung im Urteil hätte erfolgen müssen, so ist auf die sofortige Beschwerde dieser Beschluss ohne Sachprüfung aufzuheben.
OLG München, 19.2.2010– 32 W 827/10
I. Der Fall
Schuldner muss räumen – Räumungsfrist per Beschluss
Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß durch Versäumnisurteil zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnräume. Die Beklagten legten hiergegen rechtzeitig Einspruch ein, indem sie den Räumungsanspruch anerkannten, aber beantragten, Räumungsschutz gemäß § 721 ZPO zu erhalten. Das LG bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung. Mit Beschluss vom 23.12.2009 gewährte es ferner den Beklagten Räumungsfrist bis 31.5.2010.
II. Die Entscheidung
Räumungsfrist in falscher Entscheidungsform
Das LG hat zu Unrecht über den Antrag nach § 721 ZPO durch Beschluss entschieden. Die Voraussetzungen des § 721 Abs. 2 und 3 ZPO lagen nicht vor. Es hätte vielmehr im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache, also im Rahmen des Anerkenntnisurteils, über den Antrag entscheiden müssen. Vor Erlass des Urteils kann eine Räumungsfrist nicht nach § 721 ZPO bewilligt werden; ist ein Versäumnisurteil vorhanden, besteht nur die Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 1, § 707 ZPO. Wird in dem das Verfahren abschließenden Urteil nicht über den Antrag nach § 721 ZPO entschieden, so kann die Entscheidung nicht durch Beschluss, sondern bei Vorliegen von deren Voraussetzungen nur durch ein Ergänzungsurteil entschieden werden (§ 721 Abs. 1 Satz 3 1. Hs., § 321 ZPO); daher tritt auch keine Heilung durch den Nichtabhilfebeschluss ein. Ein Ergänzungsurteil dürfte im vorliegenden Fall allerdings schon daran scheitern, dass die Beklagten in der mündlichen Verhandlung den Antrag nicht mehr gestellt haben. Zudem ist die Frist des § 321 Abs. 2 ZPO abgelaufen.
Schuldneranwalt macht verhängnisvolle Fehler
Der in dem Einspruchsschriftsatz enthaltene Antrag nach § 721 ZPO war auch nicht als sofortige Beschwerde gegen die Nichtbewilligung der Räumungsfrist auszulegen (vgl. LG Köln NJW-RR 1987, 143), da ausdrücklich von den anwaltschaftlich vertretenen Beklagten Einspruch eingelegt wurde – zumal die Einspruchseinlegung auch geboten war, da der Anwalt den sicheren Rechtsbehelf zur Erreichung der Räumungsfrist ergreifen muss und er sich nicht darauf verlassen kann, dass sich das zuständige Gericht der Rechtsauffassung des LG Köln anschließen werde. Darüber hinaus hatte das LG im Rahmen der Endentscheidung noch die Gelegenheit, ggf. von Amts wegen verfahrensrechtlich korrekt die Entscheidung über die Räumungsfrist zu treffen.
Der Praxistipp
Kleiner Fehler, schwere Konsequenz
Der Fall zeigt geradezu exemplarisch, wie in vermeintlich einfachen Verfahren ein Fehler zum nächsten führt, wenn nicht jede prozessuale Handlung von Bevollmächtigten und Gericht auf einer entsprechenden Rechtsprüfung beruhen. Im vorliegenden Fall profitiert der Gläubiger.
Fehler folgt auf Fehler und niemand merkt es…
Der Bevollmächtigte des Schuldners hat mit dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil, mit dem Anerkenntnis in der Sache und dem Schutzantrag nach § 721 ZPO den richtigen Weg gewählt. Dann hat er allerdings nicht sachgerecht reagiert, als das Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat. Wegen § 307 S. 2 ZPO war dies nicht mehr erforderlich. Hierauf hätte er ebenso reagieren müssen wie auf den Beschluss, mit dem die Räumungsfrist gewährt wurde. Der nächste Fehler fand dann in der mündlichen Verhandlung statt, in der der Antrag nach § 721 ZPO nicht wiederholt wurde. In allen Fällen hätte eine Reaktion den Fehler des Gerichtes wahrscheinlich vermieden und dem Schuldner eine Räumungsfrist gebracht.
… dabei lag das Richtige so nah
Tatsächlich musste der Beschluss über die Gewährung der Räumungsfrist mangels Rechtsgrundlage für einen Beschluss ohne weitere Sachprüfung aufgehoben werden. Ein Ergänzungsurteil war dann zwar theoretisch denkbar, rechtlich aber nicht mehr möglich, weil die Zwei-Wochen-Frist des § 321 bs. 2 ZPO für ein Ergänzungsurteil abgelaufen war.
Das muss der Gläubiger tun
Der Gläubiger muss bei Anträgen nach § 721 ZPO seinerseits darauf achten, dass nach § 721 Abs. 1 ZPO nur eine „den Umständen nach angemessene Räumungsfrist“ zu gewähren ist, die nicht länger als ein Jahr betragen darf, § 721 Abs. 5 ZPO. Zu den Umständen gehört auch die Frage, ob der Schuldner eine angemessene Nutzungsentschädigung zahlt, so dass sich der wirtschaftliche Schaden des Gläubigers nicht vertieft. Hierzu sollte der Gläubiger vortragen und zugleich beantragen, dass die Räumungsfrist unmittelbar endet, wenn der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommt.