Leitsatz
Dem Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln gemäß § 888 Abs. 1 ZPO wegen Nichterbringung einer Auskunft fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Schuldner unbekannten Aufenthalts ist und ihm deshalb sämtliche im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren zuzustellenden Schriftsätze und gerichtliche Entscheidungen durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne von § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt worden sind.
BGH, 14.8.2013 – I ZB 76/10
1 I. Der Fall
Auskunftsanspruch nach Grundstücksrückgabe
Die Schuldnerin war Miteigentümerin eines Grundstücks, das aufgrund eines Restitutionsbescheids der Gläubigerin übertragen wurde. Die Gläubigerin nahm die Schuldnerin im Wege der Stufenklage auf Auskunftserteilung über die im Zeitraum vom 1.7.1994 bis zum 2.5.2003 im Hinblick auf das Restitutionsgrundstück erzielten Einnahmen und entstandenen Forderungen sowie auf Zahlung des sich nach Auskunftserteilung ergebenden Betrags in Anspruch.
Aufenthalt der SU nicht zu ermitteln – öffentliche Zustellung
Die Schuldnerin hatte ihren letzten bekannten Aufenthalt in den USA. Nachdem der Versuch des LG fehlgeschlagen war, die Klage und die im Verfahren vor dem LG ergangenen richterlichen Verfügungen im Wege der förmlichen Auslandszustellung gemäß Art. 2 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 (nachfolgend Haager Übereinkommen) zuzustellen, ordnete es die öffentliche Zustellung sowie zusätzlich gemäß § 187 ZPO die Benachrichtigung in einer Zeitung unter "Amtliche Bekanntmachungen" an. Es erging sodann ein Teil-Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren, mit dem die Schuldnerin zur Auskunftserteilung verurteilt wurde. Das Urteil wurde ebenfalls öffentlich zugestellt.
Zwangsverfahren ohne Beteiligung der SU?
Die Gläubigerin hat beantragt, gegen die Schuldnerin wegen Nichterbringung der Auskunft ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft festzusetzen. Dieser Antrag ist vom LG zurückgewiesen worden. Der Gläubigerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung von Ordnungsmitteln. Wenn eine Vollstreckung des Zwangsgeldes im Hinblick auf eine bereits anfänglich nicht vorhandene Kenntnis vom Aufenthaltsort des Schuldners höchst unwahrscheinlich oder wohl unmöglich sei, sei es eine leere, lediglich Kosten verursachende Förmelei, gegenüber dem Schuldner ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO zu verhängen.
2 II. Die Entscheidung
Der BGH sagt dazu: ja!
Der Antrag auf Zwangsmittelfestsetzung ist nur bei bestehendem Rechtsschutzbedürfnis zulässig (Gruber, in: MüKo.ZPO, 4. Aufl., § 888 Rn 19). Nach allgemeinen Grundsätzen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann (BGH NJW 1996, 2035; Becker-Eberhard, in: MüKo.ZPO a.a.O. Vor §§ 253 ff. Rn 11, jeweils m.w.N.).
Den richtigen Zeitraum in den Blick nehmen: 30 Jahre!
Für die Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung greifbare Möglichkeiten zur Vollstreckung eines Titels erkennbar sind. So trägt im Erkenntnisverfahren regelmäßig bereits die Aussicht, dass der obsiegende Kläger einen Titel erhält, der seine etwaigen Ansprüche für die nächsten 30 Jahre vor der Verjährung bewahrt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), die Annahme des Rechtsschutzinteresses. Denn es lässt sich nicht durchweg ausschließen, dass der Kläger in dieser Zeit Gelegenheit findet, den Titel gegen den Beklagten zu vollstrecken (BGH NJW 1996, 2035 m.w.N.).
Zwangsgeldbeschluss ist Vollstreckungstitel
Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 Abs. 1 ZPO. Eine Zwangsmittelanordnung nach § 888 ZPO ist ein eigener Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, aus dem die Beitreibung des Zwangsgeldes und die Vollstreckung der (Ersatz-)Zwangshaft betrieben werden kann. Die Anordnung von Zwangsmitteln gemäß § 888 Abs. 1 ZPO ist auch dann nicht objektiv sinnlos, wenn der Schuldner – wie im Streitfall – unbekannten Aufenthalts ist und ihm im Erkenntnisverfahren die zuzustellenden Schriftsätze, die vollstreckbare gerichtliche Entscheidung sowie die Schriftsätze und Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne von § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt wurden. Zwar hat das Zwangsgeld den Zweck, den auf die Nichterfüllung gerichteten Willen des Schuldners zu beugen. Eine Einflussnahme auf die Willensbildung durch die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 ZPO ist aber auch im Hinblick auf einen Schuldner nicht auszuschließen, der während des Erkenntnisverfahrens und des Verfahrens auf Festsetzung von Zwangsmitteln unbekannten Aufenthalts war. Es ist nicht unmöglich, dass der Schuldner durch die Benachrichtigung gemäß § 186 Abs. 1 ZPO oder anderweitig tatsächlich Kenntnis von der titulierten Verpflichtung erhalten hat ode...