Leitsatz
Verfügt eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person über eigenes Einkommen in Höhe von 714,34 EUR, ist sie bei der Bestimmung des Pfändungsfreibetrages des Schuldners nach § 850c Abs. 4 ZPO auf Antrag des Treuhänders bzw. Gläubigers unberücksichtigt zu lassen.
LG Köln, Beschl. v. 9.4.2019 – 1 T 51/19
1 I. Der Fall
Insolvenz und Wohlverhaltensphase
Das AG hat das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldnerin ist die Restschuldbefreiung angekündigt worden. Mit Beschl. v. 1.9.2016 hat das AG das Insolvenzverfahren mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung gemäß § 200 InsO aufgehoben und den Antragsteller zum Treuhänder gemäß § 288 InsO im Rahmen des Verfahrens zur Erlangung der Restschuldbefreiung bestellt.
Treuhänder beantragt Nichtberücksichtigung der Tochter
Der Treuhänder beantragt, die Tochter der Schuldnerin bei der Berechnung von deren pfändbarem Einkommen gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht zu berücksichtigen. Diese verfüge über Einkünfte in Höhe von 714,34 EUR und sei in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Hinzu komme noch das Kindergeld. Die Schuldnerin hat eingewandt, dass die Tochter monatlich Kosten in Höhe von 60,70 EUR für ein KVB-Ticket, 28 EUR und 35 EUR für Mobilfunkverträge und 28,35 EUR für eine Zahnersatzversicherung aufbringen müsse. Darüber hinaus benötige sie eine Kleiderpauschale von 50–80 EUR im Monat, die ebenfalls von dem monatlichen Einkommen in Höhe von 714,34 EUR abzuziehen seien.
Das AG entspricht dem
Das AG hat entschieden, dass die Tochter der Schuldnerin bei der Berechnung von deren pfändbarem Einkommen in voller Höhe unberücksichtigt bleibt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Tochter aus dem ihr unstreitig monatlich zufließenden Einkommen in Höhe von 714,34 EUR auch unter Berücksichtigung der von der Schuldnerin vorgetragenen besonderen monatlichen Ausgaben in der Lage ist, ihren Unterhalt in voller Höhe selbst zu bestreiten. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin.
2 II. Die Entscheidung
Das Landgericht folgt dem AG
Die zulässige Beschwerde der Insolvenzschuldnerin, über die der Einzelrichter zu entscheiden hat, ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das AG ist zutreffend nach Maßgabe von § 850c Abs. 4 ZPO zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter der Schuldnerin bei der Berechnung von deren pfändbarem Arbeitseinkommen nicht zu berücksichtigen ist, da sie über hinreichende eigene Einkünfte verfügt. Der gemäß §§ 36 Abs. 1 und 4, 292 Abs. 1 Satz 3 InsO, 850c Abs. 4 ZPO zulässige Antrag des Treuhänders ist insofern begründet.
Wer sich selbst unterhalten kann, braucht den Schuldner nicht
§ 850c Abs. 4 ZPO bestimmt, dass in dem Fall, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte hat, das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt.
Will der Insolvenzverwalter oder der Treuhänder – wie vorliegend – erreichen, dass Unterhaltsberechtigte unberücksichtigt bleiben, ist insoweit das Insolvenzgericht zuständig (§ 36 Abs. 4 S. 1, §§ 2, 3 InsO).
Erforderlich ist eine abwägende Entscheidung
An die Überprüfung der Voraussetzungen sind keine überspannten Anforderungen zu stellen, um das Vollstreckungsverfahren praktikabel zu gestalten (BGH NJW-RR 2005, 1239). Gleichwohl darf die Entscheidung nicht nach schematisierten Gesichtspunkten getroffen werden. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben.
Wichtig: Lebt die Person im Haushalt des SU?
Lebt der Unterhaltsberechtigte mit dem Schuldner in einem Haushalt, kann man sich bei der Berechnung des Freibetrags des Unterhaltsberechtigten an den sozialrechtlichen Regelungen zur Existenzsicherung orientieren, wobei regelmäßig ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30–50 % zu gewähren sein wird (vgl. BGH NJW 2005, 3282; BeckOK-ZPO/Riedel, 31. Ed. 1.12.2018, ZPO § 850c Rn 33).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es auch aus Sicht der Kammer im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt, die Tochter der Schuldnerin bei der Ermittlung von deren pfändbarem Einkommen nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Die Tochter der Schuldnerin lebt unstreitig mit dieser in einem Haushalt und bezieht ebenfalls unbestritten ein monatliches Einkommen in Höhe von 714,34 EUR.
Kindergeld muss nicht hinzugerechnet werden.
Zwar ist entgegen der Ansicht des Treuhänders dem unter § 850c) Abs. 4 ZPO zu berücksichtigenden Einkommen vorliegend nicht auch das Kindergeld hinzuzurechnen (vgl. BT-Drucks 8/693, S. 48 und 10/229, S. 41; BGH NJW-RR 2006, 568).
Einkommen übersteigt ...