Leitsatz
1. Die Auskunftspflicht nach § 840 Abs. 1 ZPO hängt nicht davon ab, ob dem Hauptschuldner die gepfändeten Forderungen tatsächlich zustehen. Die Auskunftspflicht besteht auch dann, wenn die Pfändung ins Leere geht.
2. Die Zustellungsurkunde begründet vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen; der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig (§ 418 Abs. 1 und 2 ZPO).
3. Für den Beweis der Unrichtigkeit genügt es nicht, wenn der Adressat der Zustellung schlicht behauptet, das Schriftstück nicht erhalten zu haben. Für den Gegenbeweis ist es vielmehr erforderlich, einen anderen als den beurkundeten Geschehensablauf zu beweisen und somit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung zu belegen. Notwendig ist der volle Beweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist.
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 11.5.2017 – 5 Sa 110/16
1 I. Der Fall
Lohnpfändung nach Vollstreckungsbescheid
Die Klägerin erwirkte 2008 einen Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 31.491,68 EUR zuzüglich Nebenforderungen und Zinsen. Auf der Grundlage dieses Vollstreckungsbescheides wurde 2014 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) wegen einer noch ausstehenden Restforderung von insgesamt EUR 25.166,01 EUR erlassen, mit dem ihre angeblichen Forderungen gegenüber der Beklagten auf gegenwärtiges und künftiges Arbeitseinkommen gepfändet wurden.
Übergabe an anwesenden Beschäftigten
Den PfÜB übergab der Gerichtsvollzieher (GV) ausweislich der Zustellungsurkunde am 14.10.2014 um 11:45 Uhr im Geschäftslokal der Beklagten, da er den Geschäftsführer nicht persönlich angetroffen hatte, dem dort beim Adressaten beschäftigten Herrn W. Die Zustellungsurkunde enthält die Aufforderung an die Beklagte auf Abgabe einer Drittschuldnererklärung nach § 840 Abs. 1 Nr. 1–3 ZPO.
Erfolglose Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 11.11.2014 nochmals auf, die Fragen gemäß § 840 Abs. 1 Nr. 1–3 ZPO binnen 14 Tagen zu beantworten. Mit Schreiben vom 18.12.2014 erinnerte sie die Beklagte erneut an die Drittschuldnerauskunft und setzte ihr eine Frist bis zum 15.1.2015.
Zahlungsklage und Schadensersatz
Da die Beklagte hierauf nicht reagierte, hat die Klägerin Zahlungsklage erhoben und zugleich dem Schuldner den Streit verkündet. Darauf erklärte die Drittschuldnerin, den Schuldner weder zu beschäftigen noch zu entlohnen. Zwischenzeitlich löschte sie die namentliche Nennung des Schuldners auf ihrer Homepage. Die Klägerin hat daraufhin ihren Klageantrag umgestellt auf Zahlung der im Prozess entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 2.738,45. Der Drittschuldner meint, mangels Arbeitsverhältnisses zur Auskunft nicht verpflichtet gewesen zu sein. Zudem sei ihm der PfÜB nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Drittschuldner mit seiner Berufung.
2 II. Aus den Entscheidungsgründen
Schadensersatzanspruch ist begründet
Die Klägerin hat nach § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht rechtzeitiger Abgabe der Drittschuldnererklärung.
Soll eine Geldforderung gepfändet werden, so hat das Gericht dem Drittschuldner zu verbieten, an den Schuldner zu zahlen. Zugleich hat das Gericht an den Schuldner das Gebot zu erlassen, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten (§ 829 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO). Die gepfändete Geldforderung ist dem Gläubiger nach seiner Wahl zur Einziehung oder an Zahlungs statt zum Nennwert zu überweisen (§ 835 Abs. 1 ZPO). Die Klägerin hat einen solchen PfÜB beim Vollstreckungsgericht erwirkt.
Ordnungsgemäße Zustellung des PfÜB
Nach § 829 Abs. 1 S. 1 ZPO hat der Gläubiger den Pfändungsbeschluss dem Drittschuldner zustellen zu lassen. Mit der Zustellung des Beschlusses an den Drittschuldner ist die Pfändung als bewirkt anzusehen (§ 829 Abs. 3 ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Geschäftsraum ist regelmäßig derjenige Raum, in dem sich der Publikumsverkehr abspielt und zu dem der mit der Ausführung der Zustellung beauftragte Bedienstete Zutritt hat, wenn er das Schriftstück abgibt (BT-Drucks 14/4554, S. 20). Aus dem Umstand, dass der Geschäftsinhaber dem Beschäftigten das Geschäftslokal überlässt, ist zu schließen, dass der Geschäftsinhaber dem Beschäftigten auch das für Zustellungen notwendige Vertrauen entgegenbringt (BT-Drucks 14/4554, S. 20). Ob der Mitarbeiter entgeltlich oder unentgeltlich (z.B. mithelfender Familienangehöriger) tätig wird, ist unerheblich (Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 178 Rn 18). Keine Beschäftigten in diesem Sinne sind jedoch Personen, die sich nur zufällig im Geschäftsraum aufhalten, wie z.B. Monteure oder Außendienstmi...