Leitsatz
Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ist dahin auszulegen, dass er nicht auf Verträge anwendbar ist, die zwischen zwei nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden Personen geschlossen wurden.
EuGH, 5.12.2013 – C-508/12
1 I. Der Fall
Klageverfahren nicht am Gerichtsstand des Verbrauchers
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl L 143, S. 15). Dieses Ersuchen ergeht in einem Verfahren eines Klägers, der seinen Wohnsitz in Salzburg (Österreich) hat, gegen die Ablehnung seines Antrags auf Ausstellung eines Europäischen Vollstreckungstitels für eine Säumnisentscheidung gegen einen Beklagten, der seinen Wohnsitz in Ostende (Belgien) hat. Der Antrag war mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Klage gegen den Beklagten, einen Verbraucher, nicht in dem Mitgliedstaat erhoben worden sei, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz habe.
Anspruch aus privatem Darlehnsvertrag
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Kläger mit einer beim Bezirksgericht Salzburg (Österreich) eingebrachten Klage beantragt hat, den Beklagten zur Zahlung eines Betrags von 3.158 EUR zuzüglich Zinsen und Kosten aus einem zwischen ihnen geschlossenen Darlehensvertrag zu verurteilen. Der Kläger erhob seine Klage bei diesem österreichischen Gericht als dem von den Parteien gewählten Gerichtsstand des Erfüllungsorts. Keine der Parteien handelte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Klageerhebung berufs- oder gewerbebezogen. Trotz Zustellung der Klage und Ladung durch den Gerichtsvollzieher in Belgien erschien der Beklagte nicht. Das Bezirksgericht Salzburg erließ daraufhin ein Versäumungsurteil, das dem Beklagten im Postweg zugestellt und anschließend rechtskräftig und vollstreckbar wurde.
2 II. Die Entscheidung
Autonome und einheitliche Auslegung des EU-Rechtes
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 805/2004 dahin auszulegen ist, dass er auch auf Verträge anwendbar ist, die zwischen zwei nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden Personen geschlossen wurden. Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss.
Hinweis
Art. 6 Abs. 1d der Verordnung lautet: "Eine in einem Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung wird auf jederzeitigen Antrag an das Ursprungsgericht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, wenn die Entscheidung in dem Mitgliedstaat ergangen ist, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz im Sinne von Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 hat, sofern die Forderung unbestritten im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b) oder c) ist, sie einen Vertrag betrifft, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, und der Schuldner der Verbraucher ist."
Nur der Anspruchsgegner muss Verbraucher sein
Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 805/2004 ist der Verbraucher eine Person, die einen Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann. Ihm ist nicht zu entnehmen, ob es für die Qualifizierung dieser Vertragspartei als "Verbraucher" eine Rolle spielt, ob ihr Vertragspartner Unternehmer ist oder nicht. Welche Eigenschaft der Vertragspartner eines Verbrauchers haben muss, ergibt sich auch nicht aus anderen Bestimmungen dieser Verordnung, so dass Sinn und Bedeutung des Begriffs "Verbraucher" in der fraglichen Bestimmung, in der nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird, unter Berücksichtigung des Kontexts der Bestimmung und des mit der Verordnung Nr. 805/2004 verfolgten Ziels zu ermitteln sind.
Europäischer Verbraucherbegriff ist maßgeblich
Insoweit ist, um die Beachtung der vom europäischen Gesetzgeber auf dem Gebiet der Verbraucherverträge verfolgten Ziele und die Kohärenz des Unionsrechts zu gewährleisten, insbesondere der in anderen unionsrechtlichen Regelungen enthaltene Verbraucherbegriff zu berücksichtigen. So ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das u.a. mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl L 95, S. 29) geschaffene Sys...