Leitsatz
§ 851a Abs. 1 ZPO ist auf den Anspruch auf Auszahlung einer Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten nicht entsprechend anwendbar.
BGH, 24.5.2012 – VII ZB 80/10
I. Der Fall
Pfändungsschutz für Landwirte
Nach § 851a ZPO ist die Pfändung von Forderungen, die einem die Landwirtschaft betreibenden Schuldner aus dem Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zustehen, auf seinen Antrag vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben, als die Einkünfte zum Unterhalt des Schuldners, seiner Familie und seiner Arbeitnehmer oder zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wirtschaftsführung unentbehrlich sind. Der BGH hatte zu entscheiden, ob "Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete" in Bayern zu solchen pfändungsgeschützten Forderungen gehören.
II. Die Entscheidung
Subventionen des Verkaufspreises können geschützt sein …
Ansprüche auf landwirtschaftliche Subventionen können Forderungen aus dem Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen gleichgestellt werden, soweit sie den Kaufpreis ergänzen bzw. an dessen Stelle treten (BGH NJW-RR 2009, 411). Der Schutz der Landwirte nach § 851a ZPO ist jedoch nicht umfassend. Vielmehr wird nur die Pfändung von Forderungen aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse beschränkt. Dieser Schutz kann nur auf diese Verkäufe ersetzende Ansprüche erweitert werden. Deshalb kommt es nicht in Betracht, dass ein Anspruch auf eine staatliche Beihilfe, die vom Verkauf landwirtschaftlicher Produkte vollständig abgekoppelt ist, den Forderungen aus diesem Verkauf gleichsteht. Aus diesem Grund findet die Vorschrift des § 851a ZPO etwa keine Anwendung auf einen Anspruch auf Zahlung einer Betriebsprämie auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29.9.2003 (BGH a.a.O.).
… nicht aber davon abgekoppelte Ausgleichszahlungen
Ausweislich des Förderwegweisers des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erhalten Landwirte zum Ausgleich der natürlichen ungünstigen Standortbedingungen oder anderer spezifischer Produktionsnachteile eine Ausgleichszulage, die die Fortführung der Landwirtschaft in diesen Gebieten sowie die Erhaltung der Kulturlandschaft nachhaltig sichern soll. Damit ergänzt sie nicht einen Verkaufserlös im Sinne des § 851a Abs. 1 ZPO. Insbesondere ersetzt sie diese Ansprüche oder Teile dieser Ansprüche nicht. Ohne die Ausgleichszahlungen droht die Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Die Ausgleichszulage soll dazu dienen, dieses zu verhindern. Damit besteht zwischen der Ausgleichszulage und der Erzeugung und dem Vertrieb eines landwirtschaftlichen Produktes kein unmittelbarer Zusammenhang in der Weise, dass sie ganz oder teilweise Verkäufe ersetzende Ansprüche gewährt. Dies wird nicht allein dadurch hergestellt, dass Voraussetzung für die Gewährung der Ausgleichszulage ist, dass die landwirtschaftlichen Flächen auch tatsächlich bewirtschaftet werden. Denn diese Voraussetzung stellt nur sicher, dass die Landwirtschaft in diesen Gebieten fortgeführt und die Kulturlandschaft erhalten und damit das Ziel der Ausgleichszulage erreicht wird. Deshalb sind Ansprüche auf Zahlung von Mitteln aus den Agrarumweltmaßnahmen mit den Ansprüchen auf Zahlung der Ausgleichszulage nicht vergleichbar (im Ergebnis ebenso Haertlein/Müller, GPR 2006, 148 ff.; a.A. Meller-Hannich, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 1. Aufl., § 851a ZPO Rn 3; LG Koblenz RdL 2006, 224).
III. Der Praxistipp
Deshalb: Genau hinschauen lohnt sich
Dem BGH folgend lohnt es sich für den Gläubiger, genau hinzuschauen, welche Leistungen der Landwirt unter welchen Voraussetzungen verlangen kann. Die Funktion der Landwirtschaft, eine autarke Nahrungsversorgung zu sichern, ist in weiten Teilen Aspekten des Umweltschutzes und der Pflege der Kulturlandschaft gewichen. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Vielzahl von Zuwendungen und Subventionen keinen unmittelbaren Bezug zum Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen haben, so dass ein Pfändungsschutz nicht besteht. Allein weil es sich um öffentliche Leistungen handelt, besteht kein Schutz vor der Pfändung. Diese muss jeweils gesondert eine Rechtsgrundlage haben.