Leitsatz
Zu den Anforderungen des Gehörsanspruchs des Art. 103 Abs. 1 GG gehört es, dass die Gerichte vorgebrachte Argumente erwägen, wenn bestimmter Parteivortrag den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde.
BVerfG, Beschl. v. 27.2.2018 – 2 BvR 2821/14
1 I. Der Fall
Abtretung einer titulierten Forderung an ein Inkassounternehmen
Der Schuldner wendet sich gegen die Abweisung einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) gegen einen formell rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid vom 9.10.1995 (2 B 3158/95) durch Berufungsurteil des LG. Die Gläubigerin, ein Kreditinstitut, erwirkte gegen den Schuldner wegen Girokontoüberziehung einen Vollstreckungsbescheid. Die Forderung belief sich einschließlich der Verfahrenskosten auf einen Betrag in Höhe von 9.180,17 DM (4.693,75 EUR); tituliert war auch ein Zinsanspruch von 5 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank seit 18.8.1995. Die dem Vollstreckungsbescheid zugrunde liegende Forderung sowie eine Forderung aus Schuldanerkenntnis des Schuldners vom 18.4.2000 trat die Gläubigerin mit Vertrag vom 15.5.2007 an den Inhaber eines Inkassounternehmens ab. Insgesamt bezahlte der Schuldner in den Jahren 2001 bis 2009 3.945,23 EUR an den jeweiligen Forderungsinhaber.
Erste Vollstreckungsgegenklage erfolgreich
In einem ersten Rechtsstreit zwischen den Parteien stellte das LG mit rechtskräftigem Urt. v. 5.4.2012 fest, dass dem Inkassounternehmen aus zwei Schuldanerkenntnissen wegen Verjährung keine weiteren Zahlungsansprüche zustehen und die gezahlten 3.945,23 EUR auf den im Vollstreckungsbescheid vom 9.10.1995 titulierten Betrag der Hauptforderung von 4.693,75 EUR zu verrechnen seien. Das LG erklärte die Zwangsvollstreckung dementsprechend mit geringfügigem Rechenfehler in Höhe des Teilbetrages von 3.945,41 EUR für unzulässig.
Zweite Vollstreckungsgegenklage auf Vollstreckung
Mit Schreiben vom 26.6.2012 teilte das Inkassounternehmen dem Schuldner mit, dass es eine Neuberechnung des Forderungskontos vorgenommen habe und die Restforderung 3.135,73 EUR zuzüglich weiterer Zinsen und Kosten betrage; die Zwangsvollstreckung sei eingeleitet.
Der Schuldner erhob daraufhin die streitbefangene zweite Vollstreckungsgegenklage und trug vor, die vom Inkassounternehmen betriebene Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid sei insgesamt unzulässig, da er dem Beklagten nichts mehr schulde. Demgegenüber behauptete der Beklagte, es stehe aktuell noch ein Betrag von 2.796,77 EUR, bestehend aus restlicher Hauptforderung, Zinsforderung und Vollstreckungskosten, offen, so dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid weiterhin zulässig sei.
AG gibt Klage statt …
Das AG gab der Klage statt, erklärte die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid insgesamt für unzulässig und verurteilte den Beklagten, die vollstreckbare Ausfertigung an den Beschwerdeführer herauszugeben; alle Forderungen des Beklagten gegen den Beschwerdeführer seien getilgt.
… während das LG umgekehrt entscheidet
Auf die Berufung des Inkassounternehmens hat das LG mit angegriffenem Urt. v. 16.4.2014 das Urteil des AG abgeändert und die Klage des Beschwerdeführers vollumfänglich abgewiesen.
Die Frage, welche Vollstreckungskosten entstanden und gem. § 788 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig seien, habe das AG im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage nicht prüfen dürfen. Mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) und der sofortigen Beschwerde (§ 793 ZPO) bestehe ein eigenständiges Rechtsbehelfssystem, die Berechtigung von Zwangsvollstreckungskosten außerhalb einer Vollstreckungsgegenklage zu prüfen, das vorrangig sei und die Statthaftigkeit einer Vollstreckungsgegenklage für den vorliegenden Fall ausschließe. Auch habe der Schuldner es versäumt, sich bereits in der ersten Vollstreckungsgegenklage gegen die vom Beklagten geltend gemachten Zwangsvollstreckungskosten zu wenden; er sei deshalb mit allen Einwendungen in der jetzigen zweiten Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 Abs. 3 ZPO präkludiert. Gehörsrüge und Gegenvorstellung des Schuldners blieben erfolglos.
2 II. Aus der Entscheidung
Streitfrage: Verstoß gegen Art. 103 GG?
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Schuldner eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und einen Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens.
Das LG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG unter mehreren Aspekten verletzt. Es habe bei der für die Entscheidung erheblichen Anwendung des § 767 Abs. 3 ZPO grundlegend verkannt, dass keine "wiederholte" Vollstreckungsgegenklage vorgelegen habe. Seine erste Vollstreckungsgegenklage im Jahre 2011/2012 sei darauf beschränkt gewesen, die Unzulässigkeit der Vollstreckung der Hauptforderung des Vollstreckungsbescheides (mit Ausnahme eines Restbetrages von 748,34 EUR) festzustellen. Erst als der Beklagte nach dem für den Schuldner erfolgreichen Urt. v...