Chancen der Entscheidung nutzen
Die Entscheidung des BGH ist in einer insolvenzrechtlichen Konstellation ergangen, gilt aber in gleicher Weise in der Forderungspfändung, weil § 4 InsO insoweit auf die Bestimmungen des 8. Buches der ZPO verweist. Sie eröffnet dem Gläubiger neue Möglichkeiten, die Chancen auf einen Vollstreckungszugriff und damit eine Befriedigung der offenen Forderung zu erreichen. Dabei ist nicht nur die tatsächliche Möglichkeit der Vollstreckung zu sehen, sondern auch die Option, den Schuldner auf die Folgen der Vollstreckung hinzuweisen und ihn so zu einem früheren Zahlungsausgleich zu motivieren.
Hinweis:
Der konkrete Fall zeigt, wie lohnend das Engagement des Gläubigers sein kann. Bei einem eigenen Einkommen des Schuldners von 1.794,83 EUR und drei unterhaltsberechtigten Personen (Ehefrau und zwei Kinder) ergibt sich seit dem 1.7.2015 ein pfändbarer Betrag von 36 EUR. Durch das Einkommen der Ehefrau wird diese nicht berücksichtigt und der pfändbare Betrag erhöht sich auf 126 EUR, d.h. um 90 EUR monatlich. Da die Ehefrau auch beide Kinder zur Hälfte unterhalten kann, entfallen jeweils 2 × 0,5 Kinder, so dass am Ende bei dem Schuldner nur noch eine unterhaltsberechtigte Person verbleibt und der pfändbare Betrag sich auf 255 EUR EUR erhöht. Insgesamt erhält der Gläubiger also Monat für Monat 219 EUR mehr. Der pfändbare Betrag kann sich sogar noch auf 655 EUR monatlich erhöhen, wenn die Kinder über eigene unterhaltsdeckende Einkünfte verfügen, etwa Ausbildungsvergütungen oder ähnliches.
Bevor es überhaupt zur Zwangsvollstreckung kommt, müssen der Gläubiger und seine Rechtsdienstleister überlegen, ob nicht eine Mithaftung des Ehegatten nach § 1357 BGB in Betracht kommt. Danach ist nämlich jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt. Dann kann schon die Titulierung gegen beide Ehegatten als Gesamtschuldner erfolgen und die Vollstreckung wird deutlich erleichtert.
Hat eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte, so kann das Gericht nach § 850c Abs. 4 ZPO auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Es stellt sich also die Frage, wann eine unterhaltsberechtigte Person über eigene Einkünfte verfügt. In den Fokus zu nehmen sind insbesondere:
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Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht; |
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Einkünfte, die der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht (BGH NJW-RR 2009, 1279), dazu gehört insbesondere auch eigenes Arbeitseinkommen, etwa als Auszubildender oder aufgrund eines Nebenjobs als Schüler oder Student; |
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Gleiches gilt nach der aktuellen Entscheidung nun auch für Zuwendungen, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur geleistet werden. |
Vermögensauskunft nutzen
Nach § 850c Abs. 4 ZPO obliegt es dem Gläubiger, einen entsprechenden Antrag zu stellen, so dass auch er für die Informationsbeschaffung verantwortlich zeichnet. Soweit der Schuldner bereits eine Vermögensauskunft abgegeben hat, muss er hierin das Einkommen seines Ehegatten, aber auch das Einkommen der Kinder angeben. Soweit es hieran fehlt, muss der Gläubiger prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Nachbesserung des Vermögensverzeichnisses oder die Abnahme der erneuten Vermögensauskunft nach § 802d ZPO vorliegen.
Lohnabrechnung hilft weiter
Eine wichtige Informationsquelle kann auch die Lohnabrechnung des Schuldners sein, die der Arbeitgeber als Drittschuldner an den Gläubiger herauszugeben hat (BGH FoVo 2013, 56). Sofern sie für den Schuldner die Lohnsteuerklasse 4 oder 5 zeigt, bedeutet dies, dass der Ehegatte über ein in etwa gleiches (Klasse 4) oder sogar ein höheres (Klasse 5) Arbeitseinkommen verfügt. Die Lohnsteuerklasse 3 legt zumindest nahe, weitere Ermittlungen anzustellen.
Hinweis
Die obige Beispielsrechnung hat gezeigt, wie stark der Gläubiger profitieren kann. Dieser Effekt verstärkt sich noch für einen nachpfändenden Gläubiger, weil sich die Nichtberücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Person nur für den antragstellenden Gläubiger auswirkt. Insoweit lohnt sich die weitere Informationsermittlung auch dann, wenn die Drittschuldnerauskunft vorrangige Gläubiger benennt.
FoVo 8/2015, S. 157 - 160