Leitsatz
Zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten, die dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners einschränken oder ausschließen können, gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gewährte Naturalunterhalt.
BGH, 16.4.2015 – IX ZB 41/14
1 I. Der Fall
Eigenunterhalt der Kinder berücksichtigen
Über das Vermögen des Schuldners ist am 30.1.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Schuldner bezieht ein durchschnittliches Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.794,83 EUR. Er lebt mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft. Seine Ehefrau verfügt über eigene Einkünfte in Höhe von monatlich 1.980 EUR. Sie gewährt den Kindern Naturalunterhalt. Das Gericht hat angeordnet, dass die Ehefrau bei der Berechnung der pfändbaren Beträge gemäß § 850c ZPO nicht und die beiden Kinder jeweils nur zu 50 v.H. berücksichtigt werden. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG die Entscheidung abgeändert und angeordnet, dass die Kinder bei der Berechnung der pfändbaren Beträge in vollem Umfang zu berücksichtigen sind.
2 II. Die Entscheidung
Zu den eigenen Einkünften im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO gehören auch Zuwendungen, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur geleistet werden. Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht oder das nach § 36 Abs. 4 S. 1 InsO an seine Stelle tretende Insolvenzgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Schon nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift alle Arten von Einkünften. Sie will die Berücksichtigung des Berechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten, wobei das Gericht in seine Erwägungen den Lebensbedarf einzubeziehen hat, der aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist (BT-Drucks 8/693 S. 48 f [zu Nr. 8]). Es ist zu prüfen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (BGH ZVI 2005, 254). Deshalb sind Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, als eigene Einkünfte im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen. Geld, welches der Unterhaltsberechtigte von dritter Seite bezieht, verringert seinen Bedarf und entlastet den zum Unterhalt verpflichteten Schuldner (MüKo-ZPO/Smid, 4. Aufl., § 850c Rn 20; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 850c Rn 12; Ahrens, NZI 2009, 423 f.; jeweils m.w.N.).
Naturalunterhalt reduziert Unterhaltsbedarf
Gleiches gilt für Zuwendungen, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur geleistet werden. Auch diese, etwa unentgeltliches Wohnen oder freie Kost, mindern die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners (Hornung, Rpfleger 1978, 353, 356). Es besteht daher kein sachlicher Grund, zwischen der Art der Gewährung des Unterhalts zu unterscheiden (LG Ansbach JurBüro 2010, 50, 51). In Übereinstimmung mit der nahezu einhelligen Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum sind daher Einkünfte, die dem Unterhaltsberechtigten in Natur zufließen werden, zu den Einnahmen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO zu zählen.
Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt gewahrt
Anders als der Schuldner meint steht der Berücksichtigung von Naturalleistungen als eigenes Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO auch nicht der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt entgegen. Für die im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO zu beantwortende Frage, welcher Lebensbedarf aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist, ist bei Unterhaltsleistungen zwischen Betreuungsunterhalt einerseits und Bar- sowie Naturalunterhalt andererseits zu unterscheiden.
Inhalt des Betreuungsunterhaltes
Der Betreuungsunterhalt umfasst die Betreuungsleistungen in Form von Versorgung, Erziehung, persönlicher Zuwendung und Haushaltsführung (Soyka, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl., Vor §§ 1601 ff. Rn 3; Scholz, FamRZ 1994, 1314, 1315). Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil eines minderjährigen unverheirateten Kindes, bei dem dieses lebt, seine Unterhaltsverpflichtung in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Die Bestimmung stellt klar, dass diese Betreuungsleistung und die Barleistungen des anderen Elternteils grundsätzlich gleichwertig sind, und trägt der Tatsache Rechnung, dass eine auf den Einzelfall abstellende rechnerische Bewertung des Betreuungsaufwandes unzulänglich bliebe (BGH, Urt. v. 30.8.2006 – XII ZR 138/04, FamRZ 2006, 1597, 1598; vgl. auch Graba/Maier, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl., § 1606 Rn 6; MüKo-BGB/Born, 6. Aufl., § 1606 Rn 6). Folge ist, dass der Elternteil, der das Kind betreut, dadurch regelmäßig seiner Unterhaltspflicht genügt (vgl. auch Palandt/B...