Leitsatz
In dem zu entscheidenden Fall ging es um die Unterhaltsverpflichtung eines Abiturienten gegenüber seinem nichtehelich geborenen Sohn. Der Kindesvater beabsichtigte zu studieren und hielt sich für leistungsunfähig.
Sachverhalt
Ein minderjähriges Kind nahm seinen im Jahre 1970 geborenen Vater auf Zahlung von Kindesunterhalt ab 1.9.2005 in Anspruch. Erstinstanzlich wurde sein Klageantrag mit der Begründung abgewiesen, eine fiktive Zurechnung von Arbeitseinkünften führe nicht zu einer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten, der das Abitur im Januar 2006 absolviert hatte. Der Unterhaltsverpflichtete könne sich zwar nicht darauf berufen, ein Studium absolvieren zu dürfen. Letztendlich könne dies jedoch dahinstehen, da er als ungelernte Kraft auf dem Arbeitsmarkt allenfalls 900,00 EUR verdienen könnte und nach Abzug von Werbungskosten unter Berücksichtigung seines Selbstbehalts i.H.v. 890,00 EUR leistungsunfähig sei.
Der Kläger beabsichtigte, gegen das erstinstanzliche Urteil ein Rechtsmittel einzulegen und beantragte hierfür Prozesskostenhilfe. Seinem Antrag wurde nicht stattgegeben.
Entscheidung
Das OLG teilte die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts und sah für ein Rechtsmittel des Klägers keine Erfolgsaussichten.
Dabei unterstellte es nicht schlicht ein von dem Beklagten erzielbares Nettoeinkommen, sondern prüfte im Einzelnen, ob der Unterhaltsverpflichtete bei einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Einkommen erzielen könnte, das ihn in die Lage versetzen würde, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen.
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass es dem Beklagten unter den Bedingungen des gegenwärtigen Arbeitsmarktes nicht gelingen könne, Einkommen in dieser Höhe zu erzielen.
Ein Arbeitnehmer ohne Ausbildung könne nicht - wie in der Klage unterstellt - 10,00 EUR pro Stunde, sondern lediglich ca. 7,00 bis 8,00 EUR verdienen. Dies führe unterhaltsrechtlich zu seiner Leistungsunfähigkeit, da unter Berücksichtigung von Steuern und Sozialabgaben sowie der berufsbedingten Aufwendungen der dem Beklagten zustehende Selbstbehalt nicht erreicht werde. Man könne einem Unterhaltsverpflichteten zwar unter Umständen eine Nebentätigkeit zumuten, jedoch beständen für ungelernte Kräfte realistische Erwerbschancen derzeit nur im Aushilfsbereich und überwiegend in Teilzeitarbeit.
Deswegen müsse der Unterhaltspflichtige zur Sicherung seines eigenen Lebensunterhalts bereits mehrere Tätigkeiten nebeneinander ausüben, ohne unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit gewinnen zu können.
Die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland in den Jahren seit der Wiedervereinigung lasse es zweifelhaft erscheinen, ob ein Unterhaltspflichtiger bei genügender Anstrengung Unterhaltspflichten überhaupt noch erfüllen könne, wenn er keine qualifizierte Ausbildung absolviert habe und seinen eigenen Lebensbedarf zunächst sicherstellen müsse.
Hinweis
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist insoweit bemerkenswert, als sie jungen Vätern die Möglichkeit bietet, ihre eigene berufliche Qualifikation zu betreiben, ohne das Risiko des Auflaufens von Unterhaltsschulden einzugehen. Letztendlich öffnet diese Entscheidung den Weg, frühe Vaterschaft nicht mit lebenslänglicher Minderqualifizierung und sozialer Degradierung zu bestrafen.
Sie ist jedoch auch für Fälle von Bedeutung, in denen ein Unterhaltsverpflichteter seinen Arbeitsplatz unverschuldet verloren hat und ihm wegen vorgeworfener Verletzung seiner Bewerbungsobliegenheit ein Erwerbseinkommen zugerechnet wurde, dass der Höhe des zuvor von ihm erzielten Einkommens entsprach.
In diesen Fällen erfolgt häufig eine Zurechnung des alten Erwerbseinkommens unter einer doppelten Fiktion: Zum einen wird unterstellt, der Unterhaltsverpflichtete sei bei entsprechenden Bewerbsbemühungen in der Lage gewesen, eine Arbeitsstelle zu finden. Zum anderen wird fingiert, dass diese Arbeitsstelle ihn das alte Arbeitseinkommen hätte erzielen lassen.
Dass diese Unterstellung im Hinblick auf die konkrete Arbeitsmarktsituation unrealistisch ist, wird in vielen Unterhaltsprozessen deutlich. In diesen Fällen sollte der Praktiker, der den Unterhaltsverpflichteten vertritt, unter Berufung auf die Entscheidung des OLG den Versuch unternehmen, eine Loslösung von den alten Einkommensverhältnissen zu erreichen und den Unterhalt neu und realistisch zu bemessen.
Link zur Entscheidung
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.09.2006, 5 UF 171/06