Rz. 5
Grundsätzlich ist es möglich, den Prozessvergleich unter dem Vorbehalt einer oder beider Parteien zu schließen, dass er bis zum Ablauf einer bestimmten Frist widerrufen werden kann. Ein solcher Vorbehalt wird im Regelfall als eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs anzusehen sein.
Nachträgliches Widerrufsrecht
Ein im Prozessvergleich nicht enthaltenes Widerrufsrecht kann von den Parteien nachträglich nur wirksam vereinbart werden, wenn die für den Prozessvergleich geltenden Förmlichkeiten eingehalten werden und die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs noch nicht eingetreten ist (BGH, NJW-RR 2018, 1023).
Aus der Vereinbarung des Widerrufs folgen Probleme.
Rz. 6
Den Empfänger der Widerrufserklärung (Schriftsatz) können die beteiligten Parteien selbst bestimmen (BGH, NJW 1980, 471). Haben sie keine Vereinbarung über den Adressaten der Widerrufserklärung getroffen, kann der Widerruf wirksam sowohl dem Gericht als auch der anderen Partei gegenüber erklärt werden (BGHZ 164, 190 = NJW 2005, 3576). In der Praxis indes ist es üblich, dass eine Vereinbarung dahingehend getroffen und protokolliert wird, dass der Widerruf durch Schriftsatz gegenüber dem den Vergleich protokollierenden Gericht zu erklären ist und zur Fristwahrung maßgeblich der Eingang der schriftlichen Erklärung bei diesem Gericht ist. In der Gestaltung der Vereinbarung der Formalien des Widerrufs sind die Parteien frei, weshalb sie auch vereinbaren können, dass der Widerruf wahlweise bei dem nämlichen Gericht oder der Gegenpartei erklärt werden kann. Gehen die Parteien (auch stillschweigend) davon aus, dass eine Widerrufserklärung (auch) gegenüber dem Gericht erfolgen kann, so ist ein innerhalb der Widerrufsfrist nur dem Gericht gegenüber erklärter Widerruf wirksam (BGH, NJW-RR 2005, 1323). Einige Gerichte haben allerdings auch einen Widerruf für wirksam gehalten, wenn er nicht wie vereinbart dem Gericht gegenüber, sondern der Gegenpartei gegenüber erklärt wurde (z. B. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 255; a. A.: BAG, NJW 1992, 1127). Um jegliche Rechtsunsicherheit zu vermeiden ist von allen Beteiligten, insbesondere auch dem Gericht, auf eine klare und eindeutige Regelung im Vergleich zu achten. Die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarte Widerrufsfrist beginnt gemäß § 187 Abs. 1 ZPO am Tage nach dem Vergleichsabschluss zu laufen, nicht erst mit dem Zugang bei dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers (OLG Schleswig, NJW-RR 1987, 1022). Haben die Parteien im Prozessvergleich für den Widerruf eine bestimmte Form vereinbart, so ist der Widerruf nur dann wirksam, wenn die vereinbarte Form auch eingehalten wird (OLG Hamm, NJW 1992, 1705). Der durch "schriftliche Anzeige an das Gericht" vorbehaltene Vergleichswiderruf kann im Zweifel nicht wirksam auch gegenüber dem Prozessgegner ausgeübt werden (BAG, NJW 1992, 1127). Hat der Widerruf durch "Schriftsatz" zu erfolgen, ist dieser zu unterschreiben. Er kann auch per Telekopie dem Gericht übermittelt werden. Über die Widerrufsfrist können die beteiligten Parteien beliebig verfügen (OLG Karlsruhe, Justiz 2005, 394 = MDR 2005, 1368) und sie auch ohne Mitwirkung des Gerichts und Protokollierung wirksam vereinbaren (Zöller/Geimer, § 794 Rn. 10c). Der Widerruf sowie die Vereinbarung der Verlängerung der Widerrufsfrist ist Prozesshandlung und kann, wenn Anwaltszwang besteht, nur durch den Anwalt wirksam ausgeübt werden.
Eine entgegen diesem Erfordernis durch die Parteien vereinbarte Fristverlängerung kann als Verpflichtung zum neuerlichen Abschluss des nämlichen Vergleiches ausgelegt werden. Der Widerruf eines vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Prozessvergleichs muss auch dann dem Gericht gegenüber erklärt werden, wenn dies nicht vereinbart worden ist (OVG Lüneburg, NJW 1992, 3253; so auch OLG Köln, VersR 1990, 403 = NJW 1990, 1369; anders BVerwGE 10, 110; zum Widerruf vgl. auch BAG, NJW 1986, 1373; BGHZ 106, 67). Die Versäumung eines Vergleichswiderrufs durch schriftliche Anzeige an das Gericht kann nicht durch Wiedereinsetzung geheilt werden (OLG Hamm, NJW-RR 1992, 121). Der Widerruf ist als Prozesshandlung nicht widerrufbar. Die Prozessparteien können eine in einem Prozessvergleich wirksam vereinbarte Widerrufsfrist vor deren Ablauf ohne Mitwirkung des Gerichts verlängern (NJW-RR 2018, 1023).