Rz. 45
Die Regelung entspricht § 811 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 8 ZPO a. F. Sie regelt den Pfändungsschutz von Bargeld, das der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Pfändung bei dem Schuldner vorfindet.
Der Anwendungsbereich erstreckt sich ausschließlich auf den Schuldner als natürliche Person, nicht hingegen auf Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften. Denn nur bei natürlichen Personen besteht das Bedürfnis, Ausgaben des täglichen Lebens zu bestreiten (BR-Drucks. 62/21 S. 30).
Rz. 46
Aus Vereinfachungsgründen sieht die Regelung zwar pauschalierte Beträge vor, ermöglicht aber gleichzeitig, den verbleibenden Zeitraum bis zum Monatsende zu berücksichtigen. Hintergrund hierfür ist, dass Zahlungen von Arbeitseinkommen, Kindergeld oder Sozialleistungen in der Regel am Monatsanfang beziehungsweise Monatsende erfolgen. Der pfändungsfreie Bargeldbetrag dient damit in erster Linie dazu, dem Schuldner für die Zeit zwischen Pfändung und nächster Zahlung von Arbeitseinkommen oder vergleichbaren Geldleistungen die erforderlichen Ausgaben des täglichen Lebens zu ermöglichen.
Rz. 47
Dem Schuldner hat Bargeld in Höhe von einem Fünftel (20 %) des täglichen Freibetrages der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung nach § 850c Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO für jeden Kalendertag ab dem Zeitpunkt der Pfändung bis zu dem Ende des Monats, in dem die Pfändung bewirkt wird, zu verbleiben. Der Tag der Pfändung zählt bei der Berechnung mit.
Der tägliche Freibetrag nach § 850c Abs. 1 Nr. 3 i.V. m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO beträgt derzeit 57,66 EUR (BGBl. I 2021, 1099). 20 % davon entspricht 11,53 EUR. Jeder weiteren Person, mit der der Schuldner im gemeinsamen Haushalt lebt, stehen 10 % des täglichen Freibetrages nach § 850c Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO für jeden Kalendertag zu. Unerheblich ist dabei, ob der Schuldner dieser Person gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist.
Durch die Anknüpfung an die täglichen Freibeträge soll erreicht werden, dass auch die Pfändungsfreibeträge für Bargeld entsprechend der im Vergleich zum jeweiligen Vorjahreszeitraum sich ergebenden prozentualen Entwicklung des Grundfreibetrages nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG angepasst werden
Rz. 48
Eine Pfändung durch den Gerichtsvollzieher findet am 20. Januar statt. Der Schuldner lebt mit 2 weiteren Personen in einem gemeinsamen Haushalt.
Lösung
- für den Schuldner sind 20 % des täglichen Freibetrages (z.Zt. 57,66 EUR) für jeden Kalendertag pfändungsfrei: 11,53 EUR x 12 Tage (20.1. bis 31.1.), somit 138,36 EUR.
- für jede weitere Person erhöht sich der Betrag entsprechend um 10 % des täglichen Freibetrages für jeden Kalendertag, d. h. um jeweils 5,76 EUR/Tag. Vorliegend sind das bei 2 Personen weitere 138,24 EUR (= 5,76 EUR x 12 Tage x 2).
Insgesamt sind 276,60 EUR (= 138,36 EUR + 138,24 EUR) Bargeld pfändungsfrei.
Rz. 49
Führt im Einzelfall die pauschalierte Regelung zu Ergebnissen für den Schuldner oder den Gläubiger, so kann der Gerichtsvollzieher nach pflichtgemäßem Ermessen einen abweichenden Betrag festsetzen (BR-Drucks. 62/21 S. 29). Ist dem Gerichtsvollzieher z. B. bekannt, dass der Schuldner sein Gehalt in der Monatsmitte erhält oder macht der Schuldner ihm dies glaubhaft, so kann der Gerichtsvollzieher anstatt des letzten Tages des laufenden Monats den 15. Kalendertag des Folgemonats zugrunde legen.
Rz. 50
Im Beispiel RZ 48 erhält der Schuldner am 15. eines Monats sein Gehalt.
Lösung
- für den Schuldner sind 20 % des täglichen Freibetrages (z.Zt. 57,66 EUR) für jeden Kalendertag pfändungsfrei, somit 311,31 EUR.
- für jede weitere Person erhöht sich der Betrag entsprechend um 10 % des täglichen Freibetrages für jeden Kalendertag, d. h. um jeweils 5,76 EUR/Tag. Vorliegend sind das bei 2 Personen weitere 311,04 EUR (= 5,76 EUR x 27 Tage x 2).
Insgesamt sind 622,35 EUR (= 311,31 EUR + 311,04 EUR) Bargeld pfändungsfrei.
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Rz. 51
In Bezug zum Pfändungsschutz auf einem Pfändungsschutzkonto (P-Konto) nach § 850k ZPO kann es im Rahmen der Anwendung der Regelung nach Nr. 3 durchaus zu einem gegenüber dem Gläubiger nicht zu rechtfertigenden doppelten Pfändungsschutz kommen, wenn der Lohn des Schuldners bereits dem P-Konto gutgeschrieben wurde (vgl. § 899 ff. ZPO). Dies zu klären ist grds. nicht Aufgabe des Gerichtsvollziehers. Ein möglicher Schutz bietet nur ein im Ermessen des Gerichtsvollziehers abweichend festzusetzender Pfändungsbetrag nach § 811 Abs. 1 Nr. 3 HS 2 (vgl. RZ 33), wenn dieser erfährt, dass dem P-Konto bereits schutzwürdige Beträge gutgeschrieben wurden (vgl. Herberger, DGVZ 2021, 253, 257).