1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gilt nicht unabhängig von der Verfahrensart und nicht ohne Einschränkung in jedem Fall (BGH MDR 2010, 29= NJW 2010, 153). Zum Schutz des Gläubigers vor Manipulationen der zu pfändenden Forderung durch Verfügungen des Schuldners (z. B. Einziehung, Abtretung und Erlass) wird dem Schuldner vielmehr das rechtliche Gehör unter Wahrung seiner Grundrechte rechtmäßig (BVerfG 57, 346) versagt. Damit soll der Überraschungseffekt und Vollstreckungserfolg der Pfändung gewährleistet werden (VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, 743). Der Schuldner kann sich ausreichend rechtliches Gehör verschaffen, indem er nachträglich Erinnerung einlegt (§ 766 ZPO; Musielak/Becker, § 834 Rn. 1; OLG Düsseldorf ZIP 1982, 366). Die Vorschrift schließt somit eine Verhandlung mit dem Schuldner über das Pfändungsgesuch des Gläubigers vor der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über den Erlass des Pfändungsbeschlusses oder die Zurückweisung des Gesuches des Gläubigers aus (BGH, NJW 1983, 1859 = SchlHA 1983, 127 = FamRZ 1983, 578 = DB 1983, 1357 = JurBüro 1983, 1029 = MDR 1983, 739; BAG, NJW 1977, 75 = DB 1976, 2116 = BB 1976, 1464 = Rpfleger 1977, 18 = JZ 1977, 65 = ARST 1977, 12 = WM 1977, 177).
2 Anwendungsbereich
Rz. 2
Das Anhörungsverbot ist nicht nur bei der Pfändung als solcher zu beachten, sondern auch – wie praktisch üblich – bei gleichzeitiger Überweisung (BGH, NJW-RR 2017, 1215 = FamRZ 2017, 1850 = MDR 2017, 1385 = Rpfleger 2017, 716). Gleiches gilt bei sonstigen Anordnungen des Vollstreckungsgerichts, durch die für den Gläubiger die Zugriffsmöglichkeiten über die Pfändungsgrenzen des § 850c Abs. 4 ZPO hinaus erweitert werden (VG Cottbus, Beschluss v. 11.6.2009, 6 L 323/08 m. w. N.– Juris; LG Duisburg, Beschluss v. 24.8.2012, 7 T 101/12 – Juris; LG Stade JurBüro 2000, 378;Stöber, Rn. 1065; Zöller/Herget, § 850c Rn. 13; LG Bochum Rpfleger 1997, 395; LG Frankenthal, Rpfleger 1982, 231; OLG Koblenz, MDR 1975, 939; OLG Düsseldorf, NJW 1973, 1133; a. A. OLG Hamm, NJW 1973, 1332), ebenso im Anhörungsverfahren nach § 36 ZPO (OLG Hamm, JurBüro 2017, 327; OLG Stuttgart, Justiz 1999, 16 m. w. N.; RGZ 139, 351; BGH, NJW 1983, 1859 = SchlHA 1983, 127 = FamRZ 1983, 578 = DB 1983, 1357 = JurBüro 1983, 1029 = MDR 1983, 739; BayObLG, WE 2006, 78; BayObLGZ 1994, 113; BayObLGZ 1985, 397), sowie im Verfahren vor Eintragung einer Zwangssicherungshypothe (AG Westerburg, JurBüro 2011, 144; OLG Frankfurt, JurBüro 2009, 660) Die Herabsetzung des pfändungsfreien Betrages kann hingegen nur nach Anhörung des Schuldners ergehen (OLG Hamm NJW 1973, 1332). Das Verbot gilt auch im Rechtsmittelverfahren, wenn es darum geht, ob ein Pfändungsbeschluss, den das Beschwerdegericht auf die Erstbeschwerde des Schuldners hin aufgehoben hatte, erneut erlassen werden soll (LG Braunschweig JurBüro 2013, 373 m. w. N.; OLG München Rpfleger 2011, 39; KG Berlin Rpfleger 1994, 425; OLG Köln NJW-RR 1988, 1467). Verboten ist die Anhörung auch, wenn der Gläubiger für die Pfändung Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe beantragt. Gleiches gilt im Arrestverfahren im Hinblick auf dessen beabsichtigten Sicherungszweck (BayObLG Rpfleger 2004, 365 = InVo 2004, 416).
Rz. 3
Ist die Forderung bereits nach § 845 ZPO beschlagnahmt, ist der Zweck erreicht und der Schuldner zu hören (Musielak/Becker, § 832 Rn. 2; MünchKomm/ZPO-Smid, § 834 Rn. 2; a. A. BGH NJW 1983, 1859 = SchlHA 1983, 127 = FamRZ 1983, 578 = DB 1983, 1357 = JurBüro 1983, 1029 = MDR 1983, 739). Nach wirksamer Pfändung schließt die Regelung eine Anhörung ebenfalls nicht aus (Musielak/Becker, § 834 Rn. 4; Münzberg, Rpfleger 1982, 329 zu OLG Düsseldorf Rpfleger 1982, 192).
Rz. 4
Verlangt der Gläubiger die Anhörung des Schuldners, muss das Gericht sie durchführen, da dann der bezweckte Schutzzweck wegfällt (LG Braunschweig Rpfleger 1981, 489 m. Anm. Hornung; LG Mannheim, JurBüro 1984 299; OLG Oldenburg JurBüro 1983, 467; OLG Celle, MDR 1972, 958; Hk-ZPO-Kemper § 834 Rn. 4).
Rz. 5
Kraft Gesetzes besteht eine ausdrückliche Anhörungspflicht im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 850b Abs. 3 ZPO (vgl. AG Cloppenburg, JurBüro 2007, 38). Mit Änderung des § 54 SGB I ist dort die früher ausdrücklich angeordnete Anhörungspflicht, die mit einem relativen Verfügungsverbot zu Gunsten des Gläubigers verknüpft war, entfallen. Eine entsprechende Anwendung des § 850b Abs. 3 auf die nur noch in § 54 Abs. 2 SGB I (Pfändung einmaliger Sozialleistungen) vorgesehene Billigkeitsprüfung dürfte nun ausgeschlossen sein (Musielak/Voit/Becker, § 834 Rn. 3 m. w. N.; Riedel, NJW 1994, 2813; a. A. Prütting/Gehrlein/Ahrens, Rn. 4. ).
3 Folgen des Verstoßes gegen die Bestimmung
Rz. 6
Hört das Vollstreckungsgericht den Schuldner vor Erlass des Pfändungs- (und Überweisungs-) beschlusses an, obwohl im Einzelfall die Anhörung nach § 834 ZPO nicht zulässig ist, berührt dies nicht die Wirksamkeit der darauf ergangenen Entscheidung (Musielak/Voit/Becker, § 834 Rn. 3). Gelingt es aber dem Schuldner, die Vollstreckung seitens des Gläubigers aufgrund der Informationen, die er im Rahm...