Prof. Dr. Dimitrios Stamatiadis, Prof. Dr. Spyros Tsantinis
Rz. 91
Die elterliche Sorge verheirateter Eltern ist gemeinsam auszuüben. Es handelt sich um Pflicht und Recht beider Eltern (Art. 1510 Abs. 1 ZGB). Das gemeinsame Sorgerecht für das minderjährige Kind bleibt auch nach der Scheidung der Eltern unberührt. Allerdings wird die Ausübung der elterlichen Sorge vom Gericht geregelt (Art. 1513 Abs. 1 ZGB). Angesichts dieser Regelung wird die Meinung vertreten, dass sie im Scheidungsurteil enthalten (teleologische Auslegung des Art. 1513 ZGB) und kein sondergerichtliches Verfahren erforderlich ist. Leitlinie für die gerichtliche Entscheidung ist immer das Wohl des Kindes (Art. 1511 Abs. 2 ZGB). Durch diese Entscheidung kann der andere Elternteil von der Ausübung der elterlichen Sorge ausgeschlossen und von dieser Verantwortung entlastet werden. Das Urteil kann die elterliche Sorge auch beiden Eltern überlassen, sofern sie sich einig sind und zusammen den Aufenthaltsort des Kindes bestimmt haben (Art. 1513 Abs. 1 ZGB). Nach Berücksichtigung des Kindeswohls kann jedoch das Gericht anders entscheiden und die Ausübung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern aufteilen oder sie einem Dritten übertragen (Art. 1513 Abs. 1 ZGB).
Rz. 92
Für sein Urteil nimmt das Gericht auf die bisherigen Bindungen des Kindes an seine Eltern und Geschwister sowie auf etwaige Vereinbarungen Rücksicht, die die Eltern des Kindes bezüglich seiner Personensorge und der Verwaltung seines Vermögens getroffen haben (Art. 1513 Abs. 2 ZGB). Für die Durchführung der einvernehmlichen Scheidung werden Vereinbarungen über die Personensorge des Kindes vorausgesetzt. Der entsprechende Vertrag wird vom Gericht bestätigt und gilt, bis eine gerichtliche Entscheidung hierüber nach Art. 1513 ZGB ergeht (Art. 1441 Abs. 3 ZGB).
Rz. 93
Der Elternteil, dem die Ausübung der elterlichen Sorge nicht übertragen worden ist, kann vom anderen Auskünfte über die Person und das Vermögen des Kindes verlangen (Art. 1513 Abs. 3 ZGB). Dem Elternteil, bei dem sich das Kind nicht aufhält, verbleibt das Recht des persönlichen Umgangs mit ihm (Art. 1520 Abs. 1 ZGB). Dies gilt unabhängig davon, wem die elterliche Sorge überlassen worden ist. In der Regel hält sich das Kind bei demjenigen Elternteil auf, der die elterliche Sorge ausübt. Es kann allerdings sein, dass sich das Kind vorläufig bei einem Dritten, ob Verwandten oder nicht, aufhält. Das Gericht kann seine Entscheidung im Interesse des Kindes jederzeit ändern, insbesondere wenn neuere Ereignisse (Krankheit, schlechtes Verhalten gegenüber dem Kind usw.) stattgefunden haben.