Rz. 147
Das griechische Recht folgt grundsätzlich der Sitztheorie. Art. 10 ZGB lautet: "Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer juristischen Person richtet sich nach dem Recht ihres Sitzes." Als Sitz ist der Verwaltungssitz, d.h. der Ort, an dem die Verwaltung einer juristischen Person tatsächlich geführt wird, zu verstehen. Nach dem griechischen IPR gibt es keine juristische Person ohne Sitz oder mit mehreren Sitzen.
Rz. 148
Für den Fall, dass die Gesellschaft nicht nach dem Recht des Verwaltungssitzstaates errichtet worden ist, kommen die materiell-rechtlichen Bestimmungen dieses Staates zur Anwendung. Dementsprechend ist eine Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Sitz in Griechenland hat, aber nicht nach griechischem Recht gegründet worden ist, aus bisheriger griechischer Sicht unwirksam. Diese Gesellschaft wird als eine de facto juristische Person im Sinne einer de facto OE oder einer GbR behandelt, wenn auch die Offenlegungsformalitäten des griechischen Rechts für die wirksame Gründung einer OE nicht beachtet wurden. Die Parteifähigkeit solcher Gesellschaften wird unmittelbar aus Art. 62 Satz 2 grZPO abgeleitet.
Rz. 149
Die zentrale Rolle Griechenlands in der Seewirtschaft hat den Gesetzgeber veranlasst, bei Schifffahrtsgesellschaften eine Ausnahme von der Sitztheorie anzunehmen. So hat Art. 1 Abs. 1 G. 791/1978 für Schifffahrtsgesellschaften, die zwar nach ausländischem Recht wirksam gegründet wurden, aber im Besitz von Schiffen unter der griechischen Flagge sind oder waren oder diese verwalten, die Gründungstheorie eingeführt. Das Gleiche gilt für Schifffahrtsgesellschaften, die gem. Art. 25 G. 27/1975 oder Notgesetz 89/1967 oder Notgesetz 378/1968 in Griechenland niedergelassen sind. Art. 4 G. 2234/1994 hat den Anwendungsbereich von G. 791/1978 auch auf ausländische Gesellschaften erstreckt, die Schiffe unter ausländischer Flagge besitzen, falls ihre Schiffe von Agenturen oder Zweigniederlassungen von Gesellschaften i.S.v. Art. 25 G. 27/1975 verwaltet werden.
Rz. 150
Im griechischen EPE-Recht wird die Sitzverlegung nicht geregelt. Jedoch kann eine identitätswahrende Sitzverlegung stattfinden, soweit das Kollisions- und Sachrecht sowohl des Wegzugs- als auch des Zuzugsstaates dies erlauben. Demnach ist es nach dem Recht des Wegzugsstaates zu beurteilen, ob der Wegzug einer inländischen Gesellschaft erlaubt ist oder ob dies ihrer Auflösung gleichkommt. Das Recht des Zuzugsstaates bestimmt, ob diese Gesellschaft angenommen werden soll oder nicht. Man muss zwischen dem Wegzug einer inländischen und dem Zuzug einer ausländischen Gesellschaft unterscheiden.
Rz. 151
Gemäß Art. 38 Abs. 3 G. 3190/1955 können die Gesellschafter einstimmig über den Wechsel der Nationalität der EPE entscheiden (vgl. dazu Rdn 44). Darunter ist die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und nicht des Verwaltungssitzes zu verstehen. Der einschlägige Beschluss führt nicht zur Auflösung bzw. Liquidation der EPE.
Rz. 152
Ausländische Gesellschaften mit beschränkter Haftung können nach Anpassung ihrer Satzungsbestimmungen an die zwingenden Vorschriften des griechischen EPE-Rechts nach Griechenland zuziehen. Dabei sind die Publizitätsformalitäten von Art. 8 G. 3190/1955 einzuhalten (Art. 38 Abs. 1, 2 und 4 G. 3190/1955). Nach Vollendung des Publizitätsverfahrens gilt die ausländische Gesellschaft als griechische EPE. Für den Zuzug der Gesellschaft muss diese einerseits als ausländische Gesellschaft i.S.v. Art. 10 ZGB betrachtet werden, und andererseits muss ein identitätswahrender, jedoch formwechselnder Wegzug nach dem Recht des Gründungsstaates erlaubt sein. Wenn das Recht des Gründungsstaates keine Sitzverlegung erlaubt – wie dies z.B. im deutschen GmbH-Recht der Fall ist –, ist eine Neugründung der Gesellschaft erforderlich.
Rz. 153
Grenzüberschreitende Verschmelzungen, d.h. Verschmelzungen zwischen Gesellschaften, die in verschiedenen Staaten ansässig sind, sind grundsätzlich zulässig. Durch das Gesetz 3777/2009 wurde die grenzüberschreitende Verschmelzung der nach griechischem Recht gegründeten EPEs ermöglicht bzw. vereinfacht. Voraussetzung für die Durchführung einer solchen Verschmelzung ist die Anerkennung beider Gesellschaften in den fraglichen Staaten. Aus griechischer Sicht bedeutet dies, dass beide Gesellschaften nach den genannten Anknüpfungsmerkmalen des griechischen internationalen Gesellschaftsrechts als Gesellschaften inländischen oder ausländischen Rechts anerkannt werden müssen. Bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung kommen grundsätzlich die Gesellschaftsstatuten von beiden Gesellschaften zur kumulativen Anwendung. Eine Abweichung zugunsten einer alternativen Anwendung der Gesellschaftsstatuten ist allerdings anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden Rechtsordnungen unterschiedliche Regelungen über die Zusammensetzung und Mehrheit der Gesellschafterversammlung, die Kapitalerhöhung und die Auflösung der fusionierten Gesellschaft enthalten. Für diese Rechtsfragen ist das Gesellschaftss...