Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des „Wohnens” im Altenheim mit Intensivbetreuung
Leitsatz (amtlich)
Ein Altenheim mit einer vollstationären Dementenabteilung, deren Appartements nach dem zugrundeliegenden Nutzungskonzept und ihrer Ausstattung auch dort noch ein Mindestmaß an eigenständiger Gestaltung und Sicherung des durch die Wohnung geprägten Lebensbereiches und des häuslichen Lebens ermöglichen und dessen Bewohner jeweils für ein bestimmtes Appartement Nutzungsverträge abschließen, die ohne ihre Zustimmung nicht abgeändert werden können, ist ein Wohngebäude, das ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege seiner Bewohner dient und deshalb nach § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 in einem reinen Wohngebiet zulässig ist.
Verfahrensgang
VG Hamburg (Beschluss vom 24.02.2004) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerinnen hat keinen Erfolg.
Aufgrund der mit der Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 VwGO dargelegten Gründe besteht keine Veranlassung, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über deren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung abzuändern. Diese Ausführungen geben keinen Anlass, im Rahmen der nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung zwischen den rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerinnen an einer vorläufigen Einstellung der Errichtung des Bauvorhabens (Neubau eines „Altenwohnheims mit vollstationärer Dementenstation”) und den gemäß § 212 a BauGB grundsätzlich mit Vorrang versehenen Interessen der Beigeladenen an einer Ausnutzung der Baugenehmigung dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen den Vorrang zu geben. Die mit der Beschwerde erhobenen Rügen lassen nicht erkennen, dass ihr Widerspruch gegen die Baugenehmigung Erfolg haben wird.
1. Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, das genehmigte Vorhaben widerspreche den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im maßgeblichen Bebauungsplan Nienstedten 17/Osdorf 42 vom 23. März 1993, der für das betroffene Grundstück eine Nutzung als reines Wohngebiet festsetzt, wird dies nicht zu einer Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung führen. Zwar vermitteln die Festsetzungen eines Bebauungsplanes über die Art der baulichen Nutzung den jeweiligen Grundstückseigentümern eines Baugebiets kraft ihres Gebietserhaltungsanspruchs einen subjektiven Abwehranspruch gegenüber solchen Bauvorhaben, die den Planfestsetzungen zur zulässigen Art der baulichen Nutzung widersprechen (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 16.9.1993, BVerwGE Bd. 94, S. 151, 155 ff.). Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht festgestellt, dass das genehmigte Vorhaben eines Altenheims mit einer Dementenstation ein Wohngebäude im Sinne des § 3 Abs. 2 und 4 BauNVO 1990 ist und damit dem im Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet entspricht: Nach § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 gehörten zu den in einem reinen Wohngebiet zulässigen Gebäuden auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Das streitige Vorhaben sei daher insgesamt – auch hinsichtlich der vorgesehenen Ausstattung mit einer vollstationären Dementenstation für 28 Bewohner der Betreuungseinrichtung – als Wohngebäude im Sinne des § 3 Abs. 2 BauNVO einzustufen. Nach dem genehmigten Betriebskonzept würden die in dem geplanten Altenheim untergebrachten Personen trotz der bei einem Teil von ihnen zu erwartenden besonders intensiven Pflegebedürftigkeit, insbesondere bei den Demenzerkrankten, dort wohnen und nicht nach Art eines Krankenhauses untergebracht sein.
Diese Erwägungen werden durch die Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellt. Die sich aus dem Nutzungskonzept der Beigeladenen wie auch der genehmigten baulichen Gestaltung des Inneren des Gebäudes ergebende Aufenthaltssituation der künftigen Bewohner des Bauvorhabens stellt eine im reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 2 und 4 BauNVO grundsätzlich zulässige Form des Wohnens dar. Der Begriff des „Wohnens” umfasst unter Berücksichtigung des im Jahre 1990 geänderten Abs. 4 des § 3 BauNVO auch den dauerhaften Aufenthalt altersverwirrter Menschen in Betreuungseinrichtungen, in denen neben der häuslichen Unterbringung auch ein dem persönlichen Bedarf entsprechendes intensives Pflege- und Betreuungsangebot vorhanden ist, selbst wenn in solchen Fällen die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gegenüber der Betreuung und Pflege der Bewohner eher in den Hintergrund tritt (vgl. Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Band 5, Stand: Oktober 2003, § 3 BauNVO, Rdnr. 2, 10; Ziegler in Brügelmann, BauGB, Kommentar, Band 6, Stand: Oktober 2003, § 3 BauNVO, Rdnr. 16; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.8.20...