Leitsatz (amtlich)
§ 97 Abs. 2 Satz 4 BSHG (jetzt § 98 Abs. 2 Satz 4 SGB XII) ist nach seinem Sinn und Zweck schon dann anzuwenden, wenn eine Mutter ihr Kind auf dem Weg zur (bzw. kurz vor Erreichen) der (Geburts)Klinik zur Welt bringt.
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 21.11.2001) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. November 2001 geändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten, die er dem Hilfeempfänger K. in der Zeit ab dem 28. Juni 1995 während des Aufenthalts in der Familienpflegestelle S. in Wedel, längstens bis zum Eintritt der Volljährigkeit, geleistet hat.
Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die dem Hilfeempfänger K. während seines Aufenthalts in einer Familienpflegestelle gewährten Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten.
Der Hilfeempfänger wurde am 29. April 1985 in einem Rettungswagen auf dem Weg in das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) geboren. Er blieb mit seinem Zwillingsbruder zunächst auf der Säuglingsstation des UKE. Am 15. Juli 1985 wurden beide in das Säuglingsheim Großborstel in Hamburg verlegt. Auf Grund einer Rötelninfektion der im Bereich der Beklagten lebenden Mutter während der Schwangerschaft bestehen bei dem Hilfeempfänger Herzfehler, Hirnschäden, beidseitige Taubheit und eine autistische Erkrankung. Seit dem 5. September 1987 wurde der Hilfeempfänger gemeinsam mit seinem Bruder in der Familienpflegestelle S. in Wedel (Kreis Pinneberg, Schleswig-Holstein) betreut. Seit April 2003 befindet sich der Hilfeempfänger in einer stationären Einrichtung im Kreis Pinneberg. Der Kläger gewährte dem Hilfeempfänger während der Unterbringung in der Pflegestelle S. Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG. Daneben bewilligte die Beklagte Jugendhilfe nach §§ 27, 33 SGB VIII (Vollzeitpflege).
Mit Schreiben vom 28. Juni 1996 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Kostenerstattung für die gewährten Leistungen gemäß § 104 BSHG geltend. Die Beklagte erkannte den Erstattungsanspruch zunächst an und bat um eine Kostenaufstellung. Der Kläger bezifferte die Kosten für die gastweise Unterbringung des Hilfeempfängers in der F. Stiftung im Juli 1995 sowie die Kosten für therapeutische Sitzungen im Hamburger A Institut von Juni 1995 bis Juni 1997 auf insgesamt 23.938,64 DM.
Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11. September 1997 mit, dass der Kostenbetrag nicht angewiesen werde. Sie sei seit dem 1. Januar 1994 für derartige Kosten nicht mehr für erstattungspflichtig. Das Anerkenntnis vom 28. April 1997 werde zurückgezogen.
Der Kläger hat am 6. April 1999 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Hilfeempfänger habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in der Pflegestelle im Bereich der Beklagten begründet. Bei dem Hilfeempfänger liege eine Behinderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG vor, die ergänzende Hilfemaßnahmen erforderlich mache. Die Kosten hierfür habe er, der Kläger, im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen. Dabei sei zunächst die Tatsache übersehen worden, dass der Hilfeempfänger seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Beklagten begründet habe. Nach geänderter Rechtsauffassung handele es sich bei § 104 BSHG um eine den § 97 Abs. 2 BSHG ergänzende Zuständigkeitsnorm, die die Zuständigkeit der Beklagten begründet habe.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Sozialhilfeaufwendungen für das Kind K., geboren am 29. April 1985, gemäß § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I, hilfsweise gemäß § 105 SGB X ab dem 28. Juni 1995 bis auf Weiteres zu erstatten;
- festzustellen, dass in diesem Fall die Zuständigkeit der Beklagten gemäß §§ 104, 97 Abs. 2 BSHG gegeben sei.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages im Wesentlichen vorgetragen: § 104 BSHG erfasse keine teilstationären und ambulanten Maßnahmen. Die Zuständigkeit für diese Hilfen richte sich bei einer Pflegestellenunterbringung allein nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort des Hilfeempfängers. Insoweit habe der Kläger die streitigen Sozialhilfeleistungen als örtlich zuständiger Träger erbracht. Hierfür könne er keine Kostenerstattung verlangen. Zwar habe § 103 Abs. 1 BSHG a.F. die Regelung enthalten, dass alle „im Zusammenhang” mit einer Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung aufgewendeten Kosten zu erstatten seien. Da nach § 104 BSHG a.F. die Vorschrift des § 103 BSHG a.F. entsprechend gegolten habe,...